01.07.2022 Branche

Zurich-Analyse spricht von „Flutdemenz“

Die Zurich präsentiert in einer Analyse Ursachen und Folgen der Flutkatastrophe durch Tief Bernd im Jahr 2021 und präsentiert eine Reihe von Vorschlägen in Sachen Vorhersagemodelle, Frühwarnsysteme und Bebauung. Fehlende Prävention und der Umgang der Bevölkerung mit Extremwettereignissen seien Teil des Problems.

Am 14. Juli 2021 begann die Überflutung des Ahrtals nach extremen Starkregen. (Foto: Martin Seifert)
Am 14. Juli 2021 begann die Überflutung des Ahrtals nach extremen Starkregen.
(Foto: Martin Seifert)

Die Flutkatastrophe des vergangenen Sommers führte zu geschätzten Gesamtschäden von 40 bis 50 Milliarden und mehr als 230 Todesopfern. Seitdem wurde viel über politische Verantwortung diskutiert. Gegen einen Ex-Landrat und seinen Krisenstabsleiter wird wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen ermittelt. Die Verantwortlichen sollen viel zu spät die Bevölkerung vor den herannahenden Wassermassen gewarnt haben. Bundesumweltministerien Anne Spiegel musste nach Kritik an Ihrem Management im Zuge der Katastrophe sogar zurücktreten.

Auch die Versicherungsbranche gibt im Umgang mit der Flutkatastrophe aus Sicht vieler kein gutes Bild ab. Sie selbst thematisiert vor allem die Zukunft der Elementarschadenversicherung und kämpft gegen die Einführung einer Versicherungspflicht, muss sich aber seit Monaten mit Kritik an Ihrem Umgang mit Kunden gefallen lassen, die genau diese Absicherung haben, aber ihre Ansprüche nicht durchgesetzt bekommen.

Analyse sieht eine vermeidbare Katastrophe

 

Davon spricht die Zurich als einer der Anbieter natürlich nicht. Der Versicherer hat stattdessen eine Studie veröffentlicht, der den Fokus auf ein völlig anderen Aspekt bei dem Thema lenkt. Die Kernbotschaft der „PERC-Ereignisanalyse“ (Post-Event-Review-Capability) in Sachen Flutkatastrophe 2021 lautet: „Es hätte nicht so weit kommen müssen“. Auch ein Extremwetterereignis diesen Ausmaßes könne grundsätzlich rechtzeitig erkannt und den potenziellen Folgen besser begegnet werden. Die Studie zeigt nach Aussage der Autoren, dass ein unzureichendes Hochwasserverständnis, eine problematische Wiederaufbaustruktur sowie ungenügende Maßnahmen zur Risikoreduktion im Vorfeld einen entscheidenden Teil an der Katastrophe tragen.

Ungenaue Vorhersagen und Modellierungen

 

Ausgangspunkt der dramatischen Ereignisse sei bereits die völlig unzureichende Vorhersage des zu erwartenden Hochwassers für die kleineren Flüsse gewesen. Die Gründe dafür sieht der Bericht in einer ungenügenden Zusammenarbeit zwischen meteorologischen und hydrologischen Vorhersagediensten sowie lokalem Katastrophenschutz. Hinzu komme eine zu geringe Anzahl an Pegelstationen, die zu einer Hochwasserprognose beitragen können. Zudem sei die Genauigkeit von Hochwassermodellen bei weitem nicht ausreichend.

Erfahrungen in Bebauungsplänen einfließen lassen

 

Unzureichende Hochwassergefahrenkarten könnten auch in Zukunft zum Problem werden, so die Zurich: „Hochwasserkarten und die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten dürfen sich nicht nur auf ‚Durchschnittsereignisse‘ beziehen, sondern sollten auch ein maximal mögliches Hochwasser-Szenario enthalten,“ sagt Horst Nussbaumer, Chief Claims und Operating Officer der Zurich Gruppe Deutschland. „Mit realistischen Annahmen kann die einschneidendste Hochwasserreaktion, zum Beispiel aufgrund von gesättigten Böden oder Verklausungen, skizziert werden. Dies hilft wiederum bei der Risikoeinschätzung zukünftiger Hochwasserereignisse. Kommunen sollten die Erkenntnisse in Zukunft auch stärker bei der Erstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen berücksichtigen“, so Nussbaumer.

Frühwarnsysteme technisch und inhaltlich unzureichend

 

Die aktuellen Frühwarnsysteme, Dienst oder Warn-Apps hätten entweder keine, zu wenige oder widersprüchliche Informationen geliefert. Die warnenden Sender sowie die Empfänger seien nicht immer ausreichend geschult, um die Möglichkeiten des Systems optimal zu nutzen. Push- statt Pull-Nachrichten würden eine stringente Kommunikationskette von den Behörden über die lokalen Einsatzkräfte bis hin zur Bevölkerung sicherstellen, empfehlt der Bericht. Dazu müsse außerdem die Lücke zwischen technischen Meldungen durch Behörden hin zu leicht verständlichen Texten für alle Generationen geschlossen werden. Beim Zusammenbruch des mobilen Internets empfehle sich auch der sogenannte „Cell Broadcast“, eine in vielen Ländern bereits etablierte Technologie.

Versicherer wirft allen Beteiligten „Flutdemenz“ vor

 

Aus Sicht der Zurich gibt es in der Öffentlichkeit eine verzerrte Wahrnehmung bei Extremwetter. Hochwasserereignisse sollten nicht als „völlig unerwartet“ oder „noch nie dagewesen“ charakterisiert werden. Überschwemmungen ähnlicher Größenordnung habe es zuvor bereits auch an der Ahr gegeben. Nur liegen diese über 100 bzw. 200 Jahre zurück. „Offenbar geraten Extremwetterereignisse zu schnell in Vergessenheit. Das führt möglicherweise dazu, dass beispielsweise weitreichende Hochwasserschutzpläne aus den 1920er Jahren nie umgesetzt wurden. Auch als 2016 das Ahrtal erneut überflutet wurde, wurde von einem Jahrhundertereignis gesprochen, was es in Anbetracht der Historie bei weitem nicht war“, sagt Michael Szöny, Leiter des in Zürich ansässigen „Flood Resilience Program“ des Versicherers. Ob vom Bericht verwendete Formulierungen wie „Flutdemenz auf allen Ebenen“ oder „Verbale Dramatisierung als singuläres Katastrophenereignis“ in Anbetracht der Größenordnung der Schäden und der vielen Toten bei den Betroffenen gut ankommen, dürfte indes fraglich sein.

Mehr Einsatz in Sachen Prävention gefordert

 

Aus Sicht der Zurich-Experten ist das Thema Prävention aus dem Fokus geraten. „Die Fähigkeit, mit Naturgefahren umzugehen, hat bei der Bevölkerung insgesamt nachgelassen. Das Wissen, dass ein Hochwasser passieren kann und welche Ausmaße es annehmen könnte, muss daher stärker und dauerhaft bei den Menschen verankert werden,“ so Szönyi. Hier würden Hochwasser-Gedenktage und visuell auffällige historische Hochwassermarkierungen helfen. Auch Schulungen über die Gefährlichkeit solcher Ereignisse und Übungen zur Evakuierung müssten geplant werden, beispielsweise in Schulen. Außerdem müsse der Umgang mit Alarmen, insbesondere auch Fehlalarmen, eingeübt werden.

Post Event Review Capability

Der Bericht „Post Event Review Capability“ (PERC) ist ein Bestandteil der „Zurich Flood Resilience Alliance“ und widmet sich der Erforschung großer Hochwasserereignisse. Grundlage des Ereignisberichtes waren tausende von E-Mails sowie Vor-Ort-Gespräche mit Betroffenen und Einsatzkräften. Der PERC-Bericht wurde gemeinsame mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse, ISET-International und der London School of Economics erstellt.

Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht das Erkennen und Sammeln von bewährten Vorgehensweisen für die Verbesserung der Hochwasserwiderstandsfähigkeit, des Hochwasser-Risikomanagements und der Katastrophenintervention. Eine ebenso zentrale Aufgabe ist die Identifizierung konkreter Möglichkeiten für weitere Verbesserungen in diesen Themenbereichen. Seit 2013 hat PERC bereits verschiedene Hochwasser- und Waldbrandereignisse analysiert.

Die Studie sowie ein Kurzbriefing sind hier abrufbar.


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