07.04.2021 Recht | Ratgeber

Streit um Rechtsschutz­klausel: Ein Urteil und zwei Meinungen

Hat die ARAG Kunden durch eine Rechtsschutzklausel unangemessen benachteiligt? Die klagende Verbraucherzentrale NRW ist nach einem noch nicht veröffentlichen BGH-Urteil davon überzeugt. Der Versicherer widerspricht. Es müssten lediglich drei Wörter aus den Bedingungen gestrichen werden.

Welche Bedeutung das Urteil aus Karlsruhe hat, ist derzeit noch nicht abzusehen. (Foto: Nikolay Kazakov)
Welche Bedeutung das Urteil aus Karlsruhe hat, ist derzeit noch nicht abzusehen.
(Foto: Nikolay Kazakov)

Dieser Streit ging bis zum Bundesgerichtshof. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen war der Auffassung, dass der Rechtsschutzversicherer ARAG auf Grundlage einer Klausel in seinen Allgemeinen Bedingungen (ARB 2016) seine Kunden unangemessen benachteiligt. Der Verein berichtet nun von einem Ende März ergangenen Urteil und wähnt sich und die Verbraucherinteressen als Sieger.

Gefahr einer uferlosen Rückverlagerung des Versicherungsfalls

 

In der strittigen Versicherungsbedingung wird laut der Verbraucherschützer bei der zeitlichen Bestimmung des Rechtsschutzfalles unter anderem darauf abgestellt, welche Argumente der Gegner vorträgt. Damit bestehe die Gefahr einer „uferlosen Rückverlagerung“ aufgrund von Aussagen der Gegenpartei, wenn es darum gehe, ob der Versicherer für besagten Rechtsstreit einstehen müsse oder nicht. Hierbei beriefen sich die Kläger auf das Prinzip des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalls. Dieser besagt, dass sich das Vorliegen eines Rechtsschutzfalls nur nach den vom Versicherungsnehmer behaupteten Pflichtverletzungen richtet. Unerheblich sei hingegen, was der Anspruchsgegner einwendet.

Was das in der Praxis bedeutet, verdeutlicht die Verbraucherzentrale NRW am Beispiel eines von ihr vertretenen Versicherten. Dieser hatte 2020 eine Rechtsschutz-Police bei der ARAG abgeschlossen. Er wolle seine bereits im Jahr 2010 abgeschlossene Lebensversicherung widerrufen. Er gab an, bei Vertragsabschluss die gesetzlich verpflichtende Verbraucherinformation nicht erhalten zu haben. Dem widersprach der Lebensversicherer. Durch diese Gegnerbehauptung falle der Eintritt des Versicherungsfalls zeitlich vor den Abschluss der Rechtsschutzversicherung. Folglich würde der Versicherungsschutz in diesem Beispiel nicht greifen, wenn die Argumente des Gegners bei der zeitlichen Einordnung des Versicherungsfalles eine Rolle spielten.

Teil der Klausel unwirksam

 

Laut Verbraucherzentrale hat der BGH nun aber bestätigt, dass der Teil der Klausel, wonach bei der zeitlichen Einordnung auch die Argumente des Gegners relevant seien, die Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt. Eben, weil dieser Passus gegen das Prinzip des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalles verstoße. Auf das Beispiel bezogen: Der Lebensversicherer weigert sich heute, das Widerrufsrecht mit dem Hinweis auf unzureichende Verbraucherinformationen anzuerkennen. Der Eintritt des Rechtsschutzfalles ereignet sich demnach in der Gegenwart. Daher müsse die Rechtsschutzversicherung die rechtlichen Kosten der Auseinandersetzung auch tragen.

Verbraucherzentrale sieht Chancen auf nachträglichen Rechtsschutz

 

„Der BGH hat im Sinne der Versicherten entschieden und stärkt damit die Verbraucherrechte”, sagt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Sollte in der Vergangenheit der Versicherer Rechtsschutz unter Berufung auf diesen vom BGH für unwirksam erklärten Klauselteil verweigert haben, sei dies zu Unrecht geschehen. Viele Versicherte könnten auf der Grundlage dieser Entscheidung bei gleich gelagerten Fällen nun auch nachträglich noch von der ARAG oder anderen Rechtsschutzversicherungen die Rechtskosten für juristischen Beistand und Gerichtsverfahren erstattet bekommen.

ARAG mit gänzlich anderer Interpretation des Urteils

 

Die Aussagen der Verbraucherschützer sorgen in der Düsseldorfer ARAG-Zentrale derweil für Unverständnis, auch wenn der Versicherer den BGH-Entscheid hinsichtlich des unwirksamen Klauseteils bestätigt. Auf VP-Nachfrage spricht man von einer „sportlichen Interpretation“ des Urteils. „Der BGH hat am 31.03.2021 über eine Revision der Verbraucherzentrale und eine Anschlussrevision unseres Hauses entschieden und beide Revisionen zurückgewiesen“, heißt es in einem Statement des Versicherers. Die monierte Darlehenswiderrufsklausel habe, wie in den Vorinstanzen, der Überprüfung durch den BGH standgehalten. Die gerügte Intransparenz sei nicht festgestellt worden.

Das ergangene Urteil hat laut der ARAG für die insgesamt beanstandete Regelung zur zeitlichen Bestimmung des Versicherungsfalles nur minimale Konsequenzen. In den Versicherungsbedingungen seien lediglich die drei Wörter „und den Gegner“ zu streichen. Erfülle der Versicherungskunde die Verpflichtung die ARAG bei der Deckungsprüfung vollständig und wahrheitsgemäß zu informieren, wirke sich die Streichung im Ergebnis praktisch nicht aus.

Eine objektive Beurteilung ist derzeit noch nicht möglich. Das Urteil (Az. IV ZR 221/19) wurde bisher nicht veröffentlicht.


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