Lebensversicherung zwischen Zinswende und Reformdruck
Die Lebensversicherer profitieren von der Zinswende. Gleichzeitig machen stille Lasten den Kapitalanlagen zu schaffen, das Neugeschäft schwächelt und die politischen Rahmenbedingungen bleiben schwierig. Wie Vertriebsprofis in diesem Umfeld erfolgreich agieren, plus: die fairsten privaten Altersvorsorger auf einen Blick.

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Experten rechnen mit weiteren Fusionen.
Verhaltenes Wachstum, unklare Perspektiven für die Altersvorsorge, regulatorischer Druck, demografischer und technischer Wandel: Die Liste der Herausforderungen für die Lebensversicherer in Deutschland ist lang. „Wir erwarten, dass sich die Konsolidierung in der Branche fortsetzen wird und weitere Fusionen folgen, wenn der wirtschaftliche, strategische und kulturelle Fit groß genug ist“, sagt Dr. Reiner Will, Geschäftsführer der Kölner Rating-Agentur Assekurata. Erst vergangene Woche haben SDK und Stuttgarter ihren Zusammenschluss zum 1. Juli 2025 endgültig vollzogen.
Der Druck auf die Branche zu performen, ist groß. Nach wie vor setzen die Bundesbürger bei ihrer privaten und betrieblichen Altersvorsorge vorzugsweise auf Lebensversicherer. Deren Leistungsverpflichtungen lagen Ende 2024 bei rund 1,24 Billionen Euro, so der Gesamtverband der Versicherer (GDV). Allein mehr als 42,17 Millionen private Rentenpolicen werden aktuell bespart.
Weshalb die Verzinsung nicht stärker steigt.
Fast eine Dekade lasteten die niedrigen Kapitalmarktzinsen auf der Ertragsstruktur der Unternehmen. Die abrupte Zinswende 2022 hat den Lebensversicherern wieder mehr Luft in der Kapitalanlage verschafft. Die laufende Verzinsung klassischer Rentenversicherungen hat sich nach einer Erhebung von FOCUS MONEY-Versicherungsprofi seit 2022 von 2,01 auf 2,53 Prozent spürbar erholt. „Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Anbieter von den Mitteln profitieren, die aus der Zinszusatzreserve frei werden“, erläutert Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.
Zum Bilanzstichtag 2024 belief sich die branchenweite Zinszusatzreserve (ZZR) auf rund 84 Milliarden Euro – deutlich weniger als der Spitzenwert von 96 Milliarden Euro im Jahr 2021. Diese Mittel stehen den Versicherten zu und fließen in Form höherer Überschussbeteiligungen zurück. Dass die Überschussbeteiligung nicht schneller steigt, liegt vor allem an den stillen Lasten auf den Kapitalanlagen, so die Assekurata-Analysten in ihrem Marktausblick zur Lebensversicherung 2025. „Die verdeckten Buchverluste müssen handelsrechtlich zwar nicht realisiert werden, schränken die Versicherer aber in ihrer Handlungsfähigkeit in der Kapitalanlage ein“, sagt Heermann.
Verbesserte Rahmenbedingungen für Lebensversicherer
Seit der Zinswende an den Kapitalmärkten 2022 haben die Lebensversicherer wieder mehr Beinfreiheit in der Kapitalanlage. Dank der Rückflüsse aus der Zinszusatzreserve und der steigenden Neuanlagerenditen hat sich die Umsatzrendite der Lebensversicherer deutlich verbessert.
Attraktiv für sicherheitsorientierte Klientel.
Erfreulich ist die Entwicklung der Rohüberschüsse. Dank steigender Neuanlagerenditen und Rückflüssen aus der ZZR liegt die Umsatzrendite der Branche mittlerweile bei über 17 Prozent – in der Niedrigzinsphase waren es im Durchschnitt noch rund zehn Prozent. Assekurata prognostiziert, dass sich dieser Wert bis 2027 der 20-Prozent-Marke nähern könnte. „Die Unternehmen gewinnen dadurch mehr Spielraum, um die Überschussbeteiligung zu erhöhen, stille Lasten zu tilgen oder unternehmerische Investitionen zu tätigen“, so Heermann. Gut für Vermittler: Sicherheitsorientierte Kunden könnten wieder stärker klassische Rentenversicherungen nachfragen. Produkte mit Garantiekomponenten werden im aktuellen Zinsumfeld attraktiver.
Große Potenziale bei Boomern heben.
Auf den ersten Blick verzeichnete die Branche 2024 ein ordentliches Bestandswachstum von 3,1 Prozent bzw. 2,7 Milliarden Euro. Doch das Bild ist verzerrt: Das Plus rührt vor allem aus Einmalbeiträgen, die um 10,6 Prozent gestiegen sind. Die laufenden Prämieneinnahmen legten nur marginal um 0,3 Prozent zu. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Verträge – ein Trend, der seit einigen Jahren anhält. Ende 2024 waren noch 80,3 Millionen Verträge im Bestand – ein Minus von 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Das Neugeschäft kann die Vertragsabläufe nicht kompensieren. Perspektivisch ist Heermann jedoch optimistisch: „In der Wiederanlage der Vermögen aus ablaufenden Verträgen sowie in der Gestaltung der Ruhestandsphase liegen große Potenziale – vor allem bei Boomern, die bald in Rente gehen.“ Tatsächlich bietet die demografische Entwicklung dem Vertrieb große Möglichkeiten bei der Generation 50Plus, die ihre Rentenlücken schließen will oder über freies Kapital zur Anlage verfügen. Fast 13 Millionen Erwerbstätige werden nach Angaben des Statistischen Bundesamts in den nächsten zehn bis 15 Jahren das Renteneintrittsalter erreichen – das entspricht der Einwohnerzahl der neuen Bundesländer.
Vermittlerinnen und Vermittler sollten strategisch vorgehen und bei der Ansprache keine Zeit verlieren. Dabei geht es nicht nur um Neugeschäft. Makler sollten frühzeitig auch Kunden identifizieren, deren Verträge in den nächsten zwei bis drei Jahren zur Auszahlung anstehen.
Licht und Schatten beim Wachstum
Das Bestandswachstum der Lebensversicherer resultierte 2024 größtenteils aus dem volatilen Geschäft mit Policen gegen Einmalbeitrag. Die Gesamtbestand der Verträge war erneut rückläufig.

Es braucht mehr als bloß die Frühstartrente.
Ein zentrales Thema bleibt die Altersvorsorge. Die politische Perspektive ist unübersichtlich – auch unter der neuen Bundesregierung. Assekurata-Geschäftsführer Will warnt davor, das Thema auf die lange Bank zu schieben: „Auch wenn geopolitische Faktoren derzeit im Vordergrund stehen, sollte die Politik angesichts der drängenden demografischen Probleme das Thema Altersvorsorge nicht vernachlässigen.“
Die von der Bundesregierung geplante Frühstartrente könnte zwar zu vielen Neuverträgen führen, doch bei einem Förderbetrag von lediglich zehn Euro monatlich reiche das Volumen kaum aus, um einen nachhaltigen Wachstumsschub auszulösen. Stattdessen plädiert Reiner Will für eine grundlegende Reform: „Die Regierungskoalition sollte möglichst zeitnah die Initiative für eine neue geförderte Altersvorsorge wieder aufnehmen und Lösungen für eine leistungsfähige kapitalgedeckte Absicherung schaffen.“
Wer wartet, verschenkt kostbare Zeit.
Trotz der politischen Zurückhaltung bei der Altersvorsorgeförderung haben es die Maklerinnen und Makler selbst in der Hand, ihre Kunden über bestehende Möglichkeiten staatlich bezuschusster und steuerlich geförderter Versicherungsprodukte aufzuklären – seien es Basisrente (s. Steuerturbo für Rürup-Renten), Riester-Verträge, betriebliche Altersversorgung oder private Rentenverträge. Wer ausschließlich auf staatlich geförderte neue Lösungen wartet, verschenkt wertvolle Zeit und Geschäftspotenzial. Das geplante Modell einer Frühstartrente mit geringem Fördervolumen könnte aber als Türöffner für junge Kunden dienen.
Die Top Ten unter den Altersversorgern.
Doch welche Anbieter privater Altersvorsorge sind vertrauenswürdig und grundsätzlich empfehlenswert? Welche Lebensversicherer bestechen im Hinblick auf Produkte, Beratung und Preis-Leistungs-Verhältnis durch besondere Fairness? Antworten auf diese Frage liefert eine Studie, die das Kölner Analyse- und Beratungsinstitut ServiceValue im Auftrag von FOCUS MONEY nun bereits zum dritten Mal durchgeführt hat. Bewertet wurden insgesamt 35 Versicherungsgesellschaften auf Basis vom mehr als 2900 Kundenurteilen zu zehn Service- und Leistungsmerkmalen.
Das Ergebnis ist erfreulich: 21 private Altersvorsorger schneiden in der Gesamtwertung aus den drei Kategorien Produktangebot, Kundenberatung und Preis-Leistungs-Verhältnis überdurchschnittlich ab. Zehn Anbieter haben von ihren Versicherten sogar so viel Lob bekommen, dass sie sich die Auszeichnung „Fairster Altersversorger" verdient haben, alle weiteren erreichten ein „Gut“.
Ausgezeichnete Lebensversicherer
FOCUS MONEY hat zum dritten Mal private Altersvorsorger auf ihre Fairness hin untersucht. Dafür wurden 35 Anbieter von ihren Kunden in den Kategorien Produktangebot, Kundenberatung und Preis-Leistungs- Verhältnis bewertet. Zehn Versicherer erhielten die Gesamtnote "Sehr Gut".
Worauf Vermittlerinnen und Vermittler im Segment Leben achten sollten
1. Wiederanlage nutzen
■ Kunden mit Verträgen, die in den nächsten
12–36 Monaten ablaufen, identifizieren
■ Gespräche zur Wiederanlage (Einmalbeitrag, Ruhestandsplanung) frühzeitig führen
■ Steuerliche Rahmenbedingungen prüfen
(Fonds-, Renten-, Sofortrentenlösungen)
2. Ruhestandsplanung unterstützen
■ Boomer-Generation gezielt mit Ruhestandskonzepten ansprechen
■ Kapitalverzehrmodelle, Pflegevorsorge und Hinterbliebenenschutz kombinieren
■ Flexibilität (Zuzahlung, Entnahmemöglichkeiten, Rentenbeginn) betonen
3. Biometrie-Geschäft forcieren
■ BU als Kernprodukt mit gesundem Preis-Leistungs-Verhältnis positionieren
■ Grundfähigkeitsversicherung nur mit transparenter Abgrenzung zur BU anbieten
■ Risikoleben strategisch bei Finanzierung, Familie und Nachlass einsetzen
4. Transparent beraten
■ Höhere laufende Verzinsung als Verkaufsargument bei sicherheitsorientierten Kunden nutzen
■ Überschussbeteiligung erklären – mit Blick auf Rückflüsse aus der ZZR
■ Risiken stiller Lasten offen ansprechen, aber einordnen
5. Politische Unsicherheit kompensieren
■ Unabhängig von neuen Fördermodellen aktuelle Produkte (Basisrente, bAV) aktiv verkaufen
■ Frühstartrente als Impuls für junge Zielgruppen nutzen – aber nicht überbewerten
■ Kunden realistisch über Vorsorgelücken aufklären und regelmäßig beraten
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