Zinsentwicklung übersteigt Erwartungen der Kapitalanleger
Kapitalanleger deutscher Versicherer haben die Höhe der jüngsten EZB-Zinsschritte nicht ansatzweise erwartet. Das zeigt eine Assekurata-Umfrage. Eine Änderung der Kapitalanlagestrategie hin zu mehr festverzinslichen Staatsanleihen ist bisher aber noch nicht zu erkennen. Zu groß seien die Unsicherheiten.
Das war ein Paukenschlag: Mitt September hat die Europäische Zentralbank (EZB) die größte Zinserhöhung seit Einführung des Euro-Bargelds beschlossen. Der Leitzins im Euroraum stieg damit um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent. Historisch hohe Inflationsraten aufgrund der seit Jahresbeginn explodierenden Energiekosten zwangen die EZB zum Handeln.
Befragte Kapitalanleger unterschätzten Entwicklung komplett
Schon die Anhebung der Zentralbanker um 0,5 Prozentpunkte im Juli markierte nicht nur das Ende der Nullzinspolitik, sondern überstieg auch die Erwartungen vieler Kapitalanleger. Nach Jahren äußerst pessimistischer Äußerungen zu den Zinserwartungen habe sich dieses Bild deutlich gewandelt, behauptet die Ratingagentur Assekurata mit Verweis auf die Ergebnisse ihrer diesjährigen Befragung zur Kapitalmarktsituation und -entwicklung. 32 Kapitalanleger deutscher Versicherungsunternehmen wurden hierfür im Zeitraum von April bis Mai 2022 nach ihren Zinserwartungen befragt. Was den prognostiziertem Zinswert angeht, sind die niedrigen Schätzungen – mehrheitlich zwischen 0 und 0,25 Prozent – längst von der Realität eingeholt worden. Durchschnittlich erwarteten die Befragten zum Jahresende 2022 einen Zinssatz von 0,13 Prozent, wobei einzelne Teilnehmer sogar noch mit einem negativen Leitzins rechneten.
Renditen festverzinslicher Anleihen noch sehr volatil
Die Teilnehmer sollten auch angeben, wie hoch die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen ihrer Meinung nach zum Ende des Jahres ausfallen wird. Laut Autorin Romina Röpke, Analystin bei der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH, machen Staatsanleihen weiterhin den Löwenanteil in der Kapitalanlage der deutschen Versicherer aus. Zum Befragungszeitpunkt wurde im Durchschnitt eine Jahresend-Rendite von 0,74 Prozent angenommen. Während der kleinste Wert mit -0,10 Prozent negativ ausfiel, zeigten sich drei Kapitalanleger mit 1,25 Prozent deutlich optimistischer in ihrer Prognose.
Die tatsächliche Entwicklung der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe in den vergangenen Monaten zeigt ein differenziertes Bild. Nachdem sie mit über 1,80 Prozent im Juni ihren Höhepunkt erreicht hatte, entwickelte sie sich trotz der überraschend starken Leitzinsanhebung durch die EZB wieder sichtlich zurück und fiel deutlich unter die Marke von einem Prozent. Zuletzt lag die Rendite mit 1,49 Prozent (Stand 31. August 2022) erneut über den Erwartungen der Kapitalanleger, wenngleich die volatile Entwicklung doch zeige, wie fragil der Zinsaufschwung derzeit ist und wie schwer demnach Prognosen sind.
Noch keine nachhaltige Wirkung auf die Kapitalanlagestrategie
Bedeutet die Zinswende nun auch eine Änderung der Kapitalanlagestrategie? Durch höhere Zinsen könnten Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere womöglich wieder attraktiver werden, so Assekurata. Nicht zuletzt habe sich auch in der Niedrigzinsphase gezeigt, dass die Versicherer unter Solvency-II-Gesichtspunkten nicht auf Staatsanleihen verzichten können oder wollen. Immerhin: Mit 48 Prozent streben weniger Kapitalanleger als im Vorjahr (60 Prozent) an, den Anteil der festverzinslichen Wertpapiere verringern zu wollen, eine Erhöhung planen jedoch weiterhin nur vier Prozent. Somit scheint der Beginn der Zinswende bislang keinen Einfluss auf die Portfolien der Lebensversicherer zu haben. „Bedenkt man, dass sich die Renditen für Festverzinser nicht nur verbessern, sondern auch in Relation zu anderen Anlageklassen profitabler sein müssen, scheint es sinnvoll, damit noch etwas zu warten. Auch die Kapitalanleger der Kranken- und Schaden-/Unfallversicherer zeigen im Vergleich zum Vorjahr kein gesteigertes Interesse, den Anteil der festverzinslichen Wertpapiere in ihren Portfolien zu erhöhen”, so Röpke.
Trotz erster Entlastung bleibt Unsicherheit
Das Assekurata-Fazit: „Die immensen Unsicherheiten, die durch die anhaltend hohe Inflation und eine drohende Rezession einhergehen, erschweren eine Prognose für den weiteren Verlauf der Zinsentwicklung und wie diese die Kapitalanlage der Versicherer beeinflusst. Es bleibt abzuwarten, wie hoch die Zinsen konkret steigen müssen, damit die Kapitalanleger deutscher Versicherungsunternehmen wieder vermehrt in Staatsanleihen und andere festverzinsliche Wertpapiere investieren.“ Mit Blick auf Solvency II und die damit einhergehenden Solvenzanforderungen hätten die gestiegenen Zinsen bereits für eine deutliche Entlastung bei den Lebensversicherern gesorgt, was eher den Investitionen in renditestärkere Assetklassen zugutekommen dürfte.