Solvency II: Viele Vorschläge, noch keine endgültige Richtung
Die EU-Kommission will viel: die Langzeitversprechen der Lebensversicherer trotz Niedrigzinsen sichern und zugleich Kapital für mehr grüne Investitionen frei machen. Zu diesem Zweck soll das Aufsichtsregime Solvency II grundlegend reformiert werden. Am Gelingen werden bereits Zweifel laut.
Die Europäische Kommission hat eine Überarbeitung des Kapital- und Aufsichtsregelwerks Solvency II vorgeschlagen. Sie soll es den europäischen Versicherern in ihrer Funktion als private Investoren ermöglichen, einen größeren Beitrag zur Finanzierung der Erholung von der COVID-19-Pandemie zu leisten, die Kapitalmarktunion voranzubringen und Mittel für den europäischen „Green Deal“ bereitzustellen. Darüber hinaus sollen eine höhere Zahl an kleinen Versicherern von der Richtlinie ganz ausgenommen werden bzw. vereinfachte und verhältnismäßigere Vorschriften eingeführt werden. Zu den Vorschlägen der Kommission gehören auch die Einführung eines Abwicklungsregimes und Nachjustierungen bei den Aufsichtsbehörden. Noch liegen aber nicht alle Details zu den geplanten Änderungen der Richtlinie vor, sie sollen zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen delegierter Rechtsakte folgen.
Versicherern drohen höhere Kapitalanforderungen
Für die Versicherer bedeutet das, dass sie riskante Anlagen künftig mit mehr Eigenkapital unterlegen müssen. Das gilt besonders für Produkte mit meist lange laufenden Garantien wie Lebensversicherungen. Da sich die Lage an den Finanzmärkten durch die Niedrigzinsen verändert habe, könnten höhere Risiken für Versicherer entstehen, begründet die EU-Kommission ihre Forderung. Sie will sicherstellen, dass Versicherer die Versprechen gegenüber ihren Kunden auch tatsächlich erfüllen können und selbst resilienter werden, um besser für künftige Krisen gewappnet zu sein.
Kommission will 90 Milliarden Euro für Investitionen freisetzen
Die vorgeschlagene Richtlinie sieht aber auch die Einführung von flexibleren Eigenkapitalregeln vor, wovon risikoärmere Anlagen profitieren könnten. Außerdem sollen die Risiken anders berechnet werden als bisher. „Die Idee ist, Kapital für Versicherer frei zu machen und ihnen zu erlauben, ihren Beitrag als private Investoren zu Europas Aufschwung aufzustocken“, sagte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. Im Raum steht ein Betrag in Höhe von rund 90 Milliarden Euro.
GDV sorgt sich um zu hohe Kapitalanforderungen
Die Initiative der EU-Kommission fiel beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf ein geteiltes Echo. Kritisch gesehen wird, dass die Vorschläge der Kommission langfristig zu höheren Kapitalanforderungen führen könnten, weil die die genaue Berechnung der künftigen Zinskurve offen bleibe. Jörg Asmussen, GDV-Hauptgeschäftsführer: „Der Entwurf der EU-Kommission folgt weitgehend den Vorschlägen von EIOPA – lässt aber zum jetzigen Zeitpunkt noch wesentliche Fragen offen, das betrifft vor allen die künftigen Kapitalanforderungen für langfristige Zins- und Kapitalmarktrisiken und die Extrapolation der Zinsstrukturkurve. Die genaue Ausgestaltung dieser Kapitalanforderungen ist entscheidend für langlaufende Produkte wie Lebensversicherungen. Sollte der Gesetzgeber die Anforderungen hier überziehen, sinken die Renditechancen, Altersvorsorge würde für Kunden teurer.“
Ähnlich wie der GDV äußerte sich auch der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU): „Wir müssen aufpassen, dass wir der Versicherungswirtschaft nicht durch zu strenge Kapitalanforderungen den Geldhahn abdrehen“, sagte er. Dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, ging der Vorschlag hingegen nicht weit genug. „Die europäischen Versicherungsregeln bleiben löchrig wie ein Schweizer Käse“, sagte er. Er kritisierte die Kapitalerleichterung von 90 Milliarden Euro als Geschenk an die Branche.
Keine Bevorzugung grüner Investments
Der Vorschlag der Kommission hat auch eine Klima-Komponente. Versicherer sollen Risiken durch den Klimawandel künftig in ihren Risikoanalysen berücksichtigen. Außerdem soll die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (Eiopa) bis 2023 prüfen, ob Vorteile für Versicherer mit klima- und umweltfreundlichen Anlagen gerechtfertigt wären.
Laut GDV öffnet der Entwurf tatsächlich die Tür für mehr Klimaschutz, mehr Nachhaltigkeit und den Beitrag der Versicherer zum „Green Deal“. Eine Vorzugsbehandlung für grüne Investments sei aber aus Sicht der Finanzstabilität nicht zielführend. Solvency II müsse risikobasiert bleiben, so der GDV. Grüne Investitionen seien nicht automatisch risikolos. Positiv sei, dass es für kleine Versicherer im Entwurf der Kommission einige Erleichterungen gibt. Das Proportionalitätsprinzip werde gestärkt. Asmussen: „Das ist ausdrücklich zu begrüßen, man könnte aber noch weiter gehen, zum Beispiel durch Erleichterungen bei den Berichtspflichten.“