Naturkatastrophen: Sachverständigenrat fordert Versicherungspflicht
Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen befürwortet eine verpflichtende Elementarschadenversicherung. Das Gremium schlägt eine Basisversicherung mit hohem Selbstbehalt und geringen Prämien vor. Der Staat soll nur noch in Sonderfällen eingreifen.
Es waren stürmische Tage, ja Wochen: Die Unwettertiefs, die Deutschland zuletzt heimgesucht haben, verursachten nach Schätzungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Schäden in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro. Wenn man den Orkanen oder dem Hochwasser überhaupt etwas Positives abgewinnen will, dann dass sie noch einmal Schwung in die Debatte über die Zukunft der Elementarschadenversicherung gebracht haben. Diese war spätestens im Sommer nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands entbrannt. Damals musste der Staat mit einem 30 Milliarden Euro schweren Aufbaufonds in die Bresche springen.
Weiterhin geringe Absicherung gegen Elementarschäden bundesweit
Im Kern geht es um die Frage, wie der Anteil an gegen Elementarschäden versicherten Wohngebäuden erhöht werden kann. In Rheinland-Pfalz, dem neben Nordrhein-Westfalen besonders stark von der Flutkatastrophe betroffenen Bundesland, sind fast zwei Drittel aller Wohngebäude nicht gegen Naturgefahren versichert. In Hamburg, wo zuletzt eine Sturmflut wütete, sind sogar fast drei Viertel aller Wohngebäude nicht versichert. Immer wieder wird dabei auch die Frage einer Versicherungspflicht diskutiert, die die Branche selbst ablehnt. Ein Argument ist, dass eine solche Pflicht zu sehr in die Vertragsfreiheit eingreife.
Sachverständigenrat mit klarem Votum für Versicherungspflicht
Nun melden sich aber die Befürworter einer Versicherungspflicht zu Wort, konkret der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV). Das unabhängige Gremium wurde im November 2014 vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eingerichtet. Vergangene Woche präsentierte es eine Studie mit dem Titel „Versicherungspflicht gegen Naturgefahren: Neue Entwicklungen, Verfassungskonformität und Akzeptanz in der Bevölkerung“. Darin stellen die Experten unter anderem fest, dass die Erwartung, der Staat würde im Katastrophenfall helfen, den Anreiz zum Abschluss einer Versicherung senkt – ein als „Charity Hazard“ bekannter Teufelskreis, den eine Versicherungspflicht durchbrechen würde. Laut einem Gutachten des Rechtswissenschaftlers Prof. Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg sei dass Reformmodell des SVRV zudem verfassungskonform. Überdies werde nach einer im Auftrag des SVRV von infratest dimap durchgeführten Online-Befragung eine Versicherungspflicht auch von den Wahlberechtigten mehrheitlich akzeptiert.
Modell mit Basisversion und Erweiterungsmöglichkeiten
Konkret schlägt der SVRV eine sogenannte verpflichtende „Basisversicherung für Wohngebäude“ vor. Hierbei wären nur katastrophenbedingte Schäden versichert, was bedeutet, dass ein recht hoher Selbstbehalt anzusetzen wäre. Der Richtwert liegt bei 25.000 Euro, was rund einem Zehntel des durchschnittlichen Werts eines Einfamilienhauses entspreche. Je nach individuellem Risiko oder finanziellem Spielraum ließe sich diese Police dann erweitern, zum Beispiel um weitere Naturgefahren (z. B. Sturmflut sowie theoretisch bis zum Versicherungsumfang einer Allgefahrenversicherung). Bestandkunden sollen mindestens über die Basisversicherung für Wohngebäude verfügen, wie sie heute üblicherweise als Wohngebäudepolice mit erweiterter Naturgefahrendeckung angeboten wird. Eine Opt-Out-Option, wie vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft präferiert, lehnt der Sachverständigenrat ab.
Finanzielle Unterstützung und vergleichsweise niedrige Prämien
Die Versicherungsprämie wird laut Expertengremium niedriger sein als die heute marktüblichen Prämien, da in der gesetzlich verpflichtenden Police der Versicherer nur für schwere Schäden aufkomme und das Versichertenkollektiv im Falle einer Versicherungspflicht am größten sei. Allerdings sollen finanzschwache Eigentümer von Bestandsbauten in Hochrisikolagen möglicherweise finanzielle Unterstützung bei der Versicherungsprämie erhalten – analog zum Wohngeld. Während einer Schadenregulierung solle ein staatlicher Vorleistungsfonds greifen, bis es zur tatsächlichen Leistung durch die Versicherer kommt.
Bisher zu wenig Vertrauen in die Versicherer und mangelndes Risikobewusstsein
Zu den Vorschlägen sagt Prof. Gert G. Wagner, SVRV-Mitglied und Mitautor der Studie: „Eine risikogerechte und zugleich sozial ausgestaltete Naturgefahrenversicherung, besonders für Altbauten in Hochrisikogebieten, schafft Sicherheit und einen Anreiz für individuelle Katastrophenvorsorge. Die Politik wird nicht darum herumkommen, den gesetzlichen Rahmen anzupassen – das sehen Versicherer und Verbraucherschützer auch so. Kontroversen im Detail gilt es gemeinsam zu klären.“ Die Gründe für die bisher geringe Versicherungsdichte seien unzureichendes Vertrauen in Versicherer und mangelndes Risikobewusstsein. „Ohne eine Versicherungspflicht, für die es eine Mehrheit bei den Wahlberechtigten gibt, bleiben nach meiner Überzeugung auch weiterhin zu viele Gebäude unversichert und im Notfall auf unkalkulierbare Staatshilfen angewiesen“, so Wagner.