BaFin: Trotz guter Ansätze bleibt in Sachen Nachhaltigkeit viel zu tun
Die BaFin macht Druck: Sie sieht nach einer Umfrage mit Blick auf die Nachhaltigkeitsbemühungen der Versicherungsbranche erheblichen Verbesserungsbedarf bei Stresstests und Szenarioanalysen. Bei vielen strukturellen Fragen seien die Unternehmen aber bereits gut aufgestellt.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sieht die Versicherungsbranche nach Auswertung einer eigenen Umfrage in ihren Nachhaltigkeitsbemühungen auf einem guten Weg, der aber noch lange nicht zu Ende sei. Konkret wollte die BaFin wissen, wie Versicherer und Pensionsfonds mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen und wie sie das BaFin-Merkblatt dazu umsetzen. „Nachhaltigkeit ist eines der großen Themen unserer Zeit – auch für Versicherer“, sagt BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund. Sie seien als Investoren, aber insbesondere auch als Risikoträger gefragt. Es gehe für die Unternehmen vor allem darum, den richtigen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu finden.
Hohe Sensibilität der Branche
Laut BaFin zeigt die Umfrage, dass der Versicherungssektor, wie die gesamte Finanzbranche, bereits größtenteils für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisiert ist. Der weit überwiegende Teil der Befragten berücksichtigt sogar sämtliche Nachhaltigkeitsaspekte – also nicht nur die in den Medien besonders oft erwähnten physischen und transitorischen Klimarisiken, sondern auch soziale Faktoren und solche der Unternehmensführung (ESG-Faktoren). Die Motivation der Unternehmen ist dabei in erster Linie, Nachhaltigkeitsrisiken zu erkennen und zu beobachten (98 Prozent) sowie Reputationsschäden zu vermeiden (96 Prozent). Positiv sei, dass mehr als drei Viertel der Versicherer und Pensionsfonds auch die Chancen gezielt nutzen wollen, die sich aus dem Übergang der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit ergeben, und dass sie Nachhaltigkeitsrisiken aktiv steuern wollen.
Hohe Auswirkungen auf die Kaitalanlage
Eine deutliche Mehrheit der beteiligten Versicherer und Pensionsfonds nimmt an, dass Nachhaltigkeitsrisiken grundsätzlich alle bekannten Risikokategorien beeinflussen. Mit Auswirkungen auf das Markt- bzw. Anlagerisiko rechnen 93 Prozent, Folgen für das Reputationsrisiko sehen 88 Prozent. Bei der Frage, auf welche Geschäftsfelder und Risikopositionen sich Nachhaltigkeitsrisiken besonders stark auswirken, wird am häufigsten die Kapitalanlage genannt. Das sei angesichts der Einschätzung des Marktrisikos folgerichtig, so die BaFin. Von den drei ESG-Faktoren dominieren dabei Auswirkungen der Klimarisiken. Mit wesentlichen Auswirkungen der Nachhaltigkeitsrisiken auf die Passivseite der Bilanz, also die Produkt- und Zeichnungspolitik, rechnen bislang nur wenige Versicherer und Pensionsfonds.
Geschäfts- und Risikostrategien werden angepasst
Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen hat bereits seine Geschäfts- und Risikostrategien im Hinblick auf Nachhaltigkeitsrisiken überprüft und entsprechend angepasst. Etliche Versicherer und Pensionsfonds haben jedoch gerade erst damit begonnen, entsprechende Projekte aufzusetzen, oder befinden sich noch in der Umsetzungsphase. Als konkrete strategische Maßnahmen nennen die Befragten die Festlegung von spezifischen Nachhaltigkeitszielen oder die Ausrichtung der eigenen Geschäftstätigkeit an politischen Zielen (Alignment). Das geht aus etwas mehr als der Hälfte der Rückmeldungen hervor. Rund ein Drittel setzt auf gezieltes Engagement oder formuliert spezielle Anforderungen an Kunden/Dritte. Während die vollständige Einstellung von Geschäftsfeldern die Ausnahme bleibt (16 Prozent), rechnen immerhin 30 Prozent der Unternehmen damit, Geschäftsfelder einschränken zu müssen.
Nachhaltigkeitsthemen sind breit in Unternehmen verankert
Die BaFin begrüßt, dass laut Umfrage in rund 92 Prozent der Versicherer und Pensionsfonds die gesamte Geschäftsleitung für den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken verantwortlich ist. Ungefähr ein Drittel sieht zusätzlich eine Ressortzuständigkeit beim Risikovorstand, beim geschäftsführenden Vorstand oder beim Finanzvorstand. Da die Versicherer und Pensionsfonds der Ansicht sind, dass Nachhaltigkeitsrisiken eine hohe Relevanz für Kapitalanlagen haben, ist die Integration dieser Risiken in die internen Leitlinien (75 Prozent) und jeweiligen Prozesse (77 Prozent) schon weit fortgeschritten. Auch im Risikomanagement wurden Leitlinien und Prozesse bei mehr als der Hälfte der Umfrageteilnehmer entsprechend angepasst. Zuständig für das Management von Nachhaltigkeitsrisiken sind in 86 Prozent der Unternehmen operative Bereiche wie Front Desk, Markt- oder Portfoliomanagement. Der unabhängigen Risikocontrolling-Funktion wird von 59 Prozent eine entsprechende Rolle zugewiesen.
Daten für die Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken fehlen weiterhin
Die Mehrheit der befragten Versicherer und Pensionsfonds hat bereits Aufgaben, Verantwortlichkeiten und den zeitlichen Rahmen definiert, um Nachhaltigkeitsrisiken identifizieren, beurteilen, steuern, überwachen und darüber berichten zu können. Wie bei der Beurteilung der Risikosensitivität (Relevanz und Wesentlichkeit) gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken stellen das Marktrisiko bzw. das Anlagerisiko und das Reputationsrisiko auch für das Risikomanagement die zentralen Größen dar. Die Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken beruht in mehr als drei Vierteln der Unternehmen bislang auf Expertenschätzungen. Quantitative Methoden sind noch die Ausnahme, da in den meisten Unternehmen entsprechende Datengrundlagen noch nicht vorhanden sind.
Erheblicher Nachholbedarf bei Stresstests und Szenarioanalysen
Kritisch sieht die Aufsichtsbehörde, dass bislang nicht einmal ein Viertel der Unternehmen nachhaltigkeitsbezogene Stresstests und Szenarioanalysen einsetzen. Weniger als die Hälfte der Umfrageteilnehmer gibt an, entsprechende Stresstests zumindest vorzubereiten. In der Folge gab es auf Detailfragen zu Art und Umfang der verwendeten Szenarien und Annahmen auch nur wenige Antworten. Repräsentative Aussagen sind somit nicht möglich, so die BaFin. Die Diskrepanz zwischen dem ausgeprägten Bewusstsein für die Wesentlichkeit von Klimarisiken und der geringen Zahl durchgeführter Stresstests sei erstaunlich. Hier bestehe dringender Nachholbedarf, insbesondere, weil die BaFin klimawandelbezogene Szenarioanalysen im „ORSA“ von Versicherern, für die Solvency II gilt, schon ab diesem Jahr erwartet, sofern diese Risiken für die Unternehmen wesentlich sind. ORSA steht für „Own Risk and Solvency Assessment“, also für die unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung.
„Wir erwarten von den beaufsichtigten Versicherungsunternehmen, dass sie Rückstände zügig aufholen”, sagt Versicherungschefaufseher Grund. Seine Behörde werde sich daher auch 2022 schwerpunktmäßig mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, die weitere Entwicklung in den Unternehmen eng begleiten und die Aufsicht – wenn erforderlich – intensivieren.
BaFin-Umfrage
In seiner Oktoberausgabe berichtete das „BaFinJournal“ über die im Frühjahr 2021 initiierte geschäftsbereichsübergreifende Umfrage der Aufsicht zum Thema „Sustainable Finance” (nachhaltige Finanzwirtschaft). Ziel dieser Umfrage war es, einen Überblick über den Stand der Umsetzung des BaFin-Merkblatts zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu ermitteln. Teilgenommen haben 399 Unternehmen aus dem Banken-, Versicherungs- und Wertpapiersektor.
Dabei erhielten die insgesamt 260 beteiligten Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds, von denen 82 den Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (EbAV) zuzuordnen sind, einen deutlich umfangreicheren und detaillierteren Fragenkatalog als die anderen beteiligten Unternehmen. Da etwa die Hälfte der beaufsichtigten Versicherer und Pensionsfonds beteiligt waren, sind die Ergebnisse repräsentativ. Der Bericht über die Ergebnisse der Versicherer und Pensionsfonds ist auf der BaFin-Website abrufbar.