14.05.2020 Recht | Ratgeber

Berufsunfähigkeits­versicherung: Wenn Informationen zu Unrecht erlangt wurden

VP-Experte Norman Wirth berichtet über ein aktuelles Urteil: Ist eine Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht zu weit gefasst, kann dies den Versicherer an Rücktritt und Anfechtung hindern – selbst wenn die Anzeigepflicht verletzt wurde.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Grundsatz.

Zur Prüfung seiner Leistungspflicht kann und muss der Versicherer medizinische Unterlagen einsehen. Diese Unterlagen hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer auch im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht zur Verfügung zu stellen. Gängige Praxis ist, dass der Versicherer die Unterlagen von den Ärzten und/oder der Krankenkasse anfordert. Hierfür sind dann aber die Regelungen nach § 213 VVG zu beachten. Insbesondere bedarf es hier einer Einwilligung des Versicherungsnehmers.

Der Rechtsfall.

Das Landgericht Itzehoe hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Versicherer Unterlagen von Ärzten direkt erhalten hatte (Az. 3 O 235/17). Diese belegten eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung seitens des Versicherten, der eine Berufsunfähigkeitsrente beanspruchte. Der Versicherer erklärte daraufhin den Rücktritt und die Anfechtung des Vertrags. Die maßgeblichen Arztberichte hatte der Versicherer auf Grundlage einer generellen Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht erhalten.

Die gesetzlichen Anforderungen.

Das Recht der informationellen Selbstbestimmung bewirkt, dass es dem Versicherten freisteht, welche Daten er übermitteln möchte. Die Rechtsprechung des BGH hat insofern den sogenannten „gestuften Dialog“ entwickelt (vgl. Urteil d. BGH Az. IV ZR 289/14). Dieser beschränkt die Datenerhebung auf das erforderliche Maß. So sind zunächst nur Informationen allgemeiner Art zu erheben, auf deren Grundlage dann weitergehende Erkundigungen eingeholt werden können, sofern dazu ein Anlass besteht.

Die Gerichtsentscheidung.

Die generelle Erklärung zur Entbindung von der Schweigepflicht entspricht nicht den Anforderungen an die gestufte Erhebung. Zwar gab es die Möglichkeit einer einzelfallbezogenen Erklärung in Sachen Schweigepflicht, doch auch sie hätte den Vorgaben nicht genügt, da sie ebenfalls keine gestufte Erhebung vorsieht. Erschwerend kam hinzu, dass dem Versicherten zusätzliche Kosten in Höhe von 19 Euro je Einzelfall entstanden wären, sodass schon unter diesem Gesichtspunkt keine gleichwertige Alternative bestanden hätte. Infolgedessen verurteilte das Landgericht Itzehoe den Versicherer zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente.

Der praktische Hinweis.

Versicherer begründen die Anfechtung und/oder den Rücktritt von geschlossenen Verträgen häufig mit nicht mitgeteilten Erkrankungen, Behandlungen oder Untersuchungen. Es lohnt sich aber immer ein Blick darauf, wie der Versicherer die Informationen zu vermeintlichen Falschangaben erlangt hat. Ist dies nämlich rechtswidrig erfolgt, so kann ein Rücktritt oder eine Anfechtung ausgeschlossen sein.


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