07.10.2024 Recht | Ratgeber

Darf der Versicherer Überschüsse anpassen?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über die Zulässigkeit unterschiedlicher Überschusszuteilungen in der privaten Rentenversicherung entschieden. FOCUS MONEY-Versicherungsprofi-Experte Dr. Markus Weyer erklärt, warum Versicherer das Urteil freuen dürfte.

Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com). (Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)
Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com).
(Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)

Die Ausgangslage.

Die laufende Verzinsung einer Lebensversicherung besteht aus der über die gesamte Laufzeit garantierten Verzinsung, dem Rechnungszins, und dem aus Erträgen erwirtschafteten Überschuss. Dem Versicherungsnehmer steht regelmäßig eine Überschussbeteiligung zu (§ 153 VVG). Darf ein Versicherer aber jüngeren Verträgen eines Tarifs höhere Überschüsse zuweisen als älteren mit einem höheren Rechnungszins?

Der Fall.

Die Allianz Lebensversicherung teilte neuen Versicherungsnehmern im Tarif „Perspektive“ eine höhere Überschussbeteiligung zu als denen, die zwischen Juli 1994 und Dezember 2016 im gleichen Tarif eine Rentenversicherung mit einem höheren Rechnungszins abgeschlossen hatten.
Dagegen wendete sich die Verbraucherzentrale Hamburg. Die Praxis verstoße gegen den aufsichtsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 138 VAG) und den Vorgaben des Paragraf 6 Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Die Allianz würde jüngere Verträge zulasten älterer Policen künstlich „aufhübschen“. Sie sei verpflichtet, erst den für den Rechnungszins notwendigen Betrag abzuziehen und nur den dann verbleibenden Teil als Überschuss zu verwenden.
Das sah die Allianz anders. Die Aufsichtsbehörde BaFin teilte die Auffassung der Allianz und verwies auf die in der MindZV genannte Berechnungsformel. Es kam zum Streit.

Das Urteil.

Das LG Stuttgart und das OLG Stuttgart stimmten der Allianz zu. Der Wortlaut, die Historie sowie die Materialien zum Erlass der Mindestzuführungsverordnung sprächen für diese Auslegung. Die in der Begründung der MindZV enthaltene Formel „0,9-mal Kapitalerträge minus Rechnungszins“ stütze die Praxis der Allianz.
Der BGH wies die Revision der Verbraucherzentrale zurück (IV ZR 436/22). Die Überschussverteilung der Allianz verstoße nicht gegen Paragraf 6 MindZV. Diesem sei nicht zu entnehmen, dass bei der Verteilung von Überschüssen die für die Bedienung der Rechnungszinsen benötigten Kapitalerträge vorab von den insgesamt erzielten Kapitalerträgen abzuziehen seien und nur der verbleibende Teil als Überschuss zu verwenden sei. Die Praxis, Tarifgenerationen mit unterschiedlichem Garantiezins eine einheitliche Gesamtverzinsung zuzuteilen soweit diese nicht hinter dem Garantiezins zurückbleibt, ist mit Paragraf 138 VAG und Paragraf 153 VVG vereinbar.

Der Ausblick.

Die Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung für die Überschussverwendung in der Lebensversicherung. Der BGH hat Rechtssicherheit für die Praxis der „risikoadjustierten Gesamtverzinsung“ geschaffen. Für Versicherte bedeutet das: Im Ergebnis können ältere, wie hier zwischen 1994 und 2016 abgeschlossene, Verträge schlechter dastehen als jüngere.


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