Krankenversicherung: Künstliche Befruchtung – Streit um Kostenübernahme
Muss eine Krankenversicherung die Kosten für eine In-vitro-Fertilisation übernehmen, wenn die Erfolgschancen aufgrund des Alters der potenziellen Mutter eingeschränkt sind? Über ein BGH-Urteil informiert VP-Experte Dr. Markus Weyer.
Die Ausgangslage.
In der Krankenversicherung ist der Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen (§ 1 MB/KK). Was aber, wenn die Erfolgsaussichten der Heilbehandlung fraglich scheinen?
Der Fall.
Der Versicherungsnehmer (VN) leidet an einer Kryptozoospermie und kann auf natürlichem Weg keine Kinder zeugen. Nach vier Behandlungszyklen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) und anschließendem Embryotransfer nahm der seinen Versicherer (VR) auf Kostenerstattung in Anspruch. Dieser lehnte ab, weil die Voraussetzungen einer „medizinisch notwendigen Heilbehandlung“ nicht vorlägen. Für die Altersgruppe der im Juli 1966 geborenen Ehefrau des VN sei im IVF-Register eine erhöhte Abortrate dokumentiert.
Der Rechtsstreit.
Das LG Bremen (Az. 6 O 1184/12) gab der Klage des VN nach Einholung eines Sachverständigengutachtens statt. Die Berufung des VR wies das OLG Bremen (Az. 3 U 7/17) im Wesentlichen ab. Dem VN stehe ein Anspruch auf Krankheitskostenerstattung zu. Die Behandlungszyklen seien medizinisch notwendige Heilbehandlungen, weil laut Beweisaufnahme bei der Ehefrau eine mindestens 15-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür bestanden habe, dass ein Embryotransfer zur erwünschten Schwangerschaft führe. Auf die in der Altersgruppe der Ehefrau des Klägers bestehende hohe Abortrate komme es nicht an.
Das Urteil.
Auch die Revision des VR beim BGH hatte keinen Erfolg (Az. IV ZR 323/18). Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion sind deren Erfolgsaussichten grundsätzlich nur am Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen. Der BGH hat deutlich gemacht, unter welchen Voraussetzungen von einer unzureichenden Erfolgsaussicht und damit fehlenden medizinischen Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung auszugehen ist: Erst wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit, dass ein Embryotransfer zur gewünschten Schwangerschaft führt, weniger als 15 Prozent beträgt, sei eine Kostenübernahme nicht mehr gerechtfertigt.
Der Ausblick.
Der BGH hält an seiner Rechtsprechung fest (Az. IV ZR 133/04). Die sogenannte Baby-take-home-Rate sei von geringer Relevanz. Der Kinderwunsch von Ehegatten sei Ausdruck ihres Selbstbestimmungsrechts und deshalb der gerichtlichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit entzogen. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass ein solcher Eingriff auch das Risiko einer Fehlgeburt und einer hiermit verbundenen seelischen Belastung einbeziehe.