Keine Leistung trotz Versicherungsgutachten?
Verkehrte Welt: Ein Versicherer hat Zweifel an seinem eigenen Gutachten und verweigert einem Handwerker die Leistung wegen Berufsunfähigkeit. Das OLG Nürnberg hat sich mit dem Fall befasst. Rechtsanwalt Norman Wirth, Kolumnist des FOCUS MONEY-Versicherungsprofi, erläutert die Tragweite des Urteils.

(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Fall.
Ein Mann, der viele Jahre als Servicetechniker tätig war, kämpft mit chronischen Schmerzen im Handgelenk. Nach mehreren Eingriffen und anhaltenden Beschwerden sieht er sich gezwungen, Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung zu beantragen. Der Versicherer reagiert zunächst erwartungsgemäß. Er beauftragt ein medizinisches Gutachten, das dem Kläger eine Berufsunfähigkeit von über 50 Prozent attestiert.
Was dann folgt, überrascht: Trotz des positiven Gutachtens lehnt der Versicherer die Leistung ab. Begründung: Das Gutachten sei methodisch nicht überzeugend. Der Versicherungsnehmer zieht vor Gericht, doch das Landgericht Nürnberg-Fürth weist seine Klage ab. Auch die Berufung vor dem OLG Nürnberg bleibt erfolglos (Az. 8 U 344/23).
Das Urteil.
Das Gericht stellt klar, dass ein vom Versicherer beauftragtes Gutachten keine Bindungswirkung entfaltet. Vielmehr bleibt es dem Versicherer vorbehalten, das Ergebnis im Rahmen seiner Leistungsprüfung eigenständig zu würdigen – selbst dann, wenn es auf den ersten Blick für den Kunden spricht. Entscheidend ist, dass eine nachvollziehbare Begründung für die Ablehnung vorliegt. Im konkreten Fall hatte ein gerichtlich bestellter Sachverständiger die Berufsunfähigkeit nicht bestätigt – das eigene Gutachten des Versicherers war damit nicht mehr ausschlaggebend.
Die Folge.
Diese Entscheidung mag für Betroffene schwer nachvollziehbar sein, ist juristisch jedoch nicht zu beanstanden. Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie differenziert Gerichte die Leistungsprüfung in der Berufsunfähigkeitsversicherung betrachten – und dass selbst positive medizinische Einschätzungen kein Freifahrtschein sind.
Versicherungsmakler sollten ihre Kunden für diese Fallkonstellationen sensibilisieren. Ein Gutachten – auch wenn es vom Versicherer stammt – ist kein Leistungsversprechen, sondern lediglich Teil der Beurteilung.
Umso wichtiger ist es, von Beginn an auf eine vollständige und präzise Darstellung der gesundheitlichen Einschränkungen sowie der beruflichen Tätigkeit zu achten. Wichtig ist auch das Zusammenspiel von behandelnden Ärzten und der Qualität ärztlicher Stellungnahmen.
Das Fazit.
Für Versicherte bedeutet das: Nicht jedes „Ja“ eines Gutachters führt zur Rente. Für Makler: Eine realistische Erwartungshaltung ihrer Kunden ist ebenso wichtig wie eine sorgfältige Dokumentation.
Und im Zweifel hilft nur: dranbleiben – notfalls auch mit anwaltlicher Unterstützung. Denn manchmal braucht es mehr als ein Gutachten, um am Ende wirklich Recht zu bekommen.
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