Debatte: Welche Folgen hat der Ukraine-Krieg?
Nach Einschätzung mehrerer Top-Ökonomen bei einer Online-Diskussionsrunde des GDV sind die direkten Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Versicherungswirtschaft gering. Viel härter treffen sie die indirekten Folgen, vor allem die starke Inflation.
Der Krieg in der Ukraine trifft die Versicherungswirtschaft nach Einschätzung führender Ökonomen vor allem mittelbar, die direkten Folgen seien hingegen gering. So zumindest der Tenor einer diese Woche vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) initiierten Online-Gesprächsrunde mit drei Chefvolkswirten großer Versicherer. Ludovic Subran von der Allianz, Jérôme Jean Haegeli von der Swiss Re und Dr. Michael Menhart von der Munich Re diskutierten in dem Format „#GDVlive“ über verschiedene Szenarien und Konsequenzen des Krieges mit Moderator und GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.
Sorgen bereiten allen Gesprächsteilnehmern vorrangig die indirekten Folgen, wie etwa der Einbruch an den Kapitalmärkten oder die schlechteren Wachstumsaussichten. „Die Hoffnungen auf eine Post-Corona-Konjunktur haben sich im Pulverdampf aufgelöst“, sagte Allianz-Chefvolkswirt Subran. Eine Rezession sei unvermeidlich. Dazu komme die hohe Teuerung, die die Experten als großes Risiko für den Sektor ansehen. Die Inflation in der Euro-Zone war im März auf einen Rekordwert von 7,5 Prozent gestiegen – getrieben vor allem von höheren Energie- und Rohstoffpreisen.
Inflation erfordert Gegensteuern
Für Haegeli, Chefvolkswirt von Swiss Re, liegen die Ursachen nicht nur auf der Angebots-, sondern auch der Nachfrageseite. „Die Inflation ist inzwischen global Feind Nummer Eins. Damit können auch Wahlen gewonnen werden“, sagte er mit Blick auf den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich. Der Preisanstieg könnte sich nach Ansicht seines Kollegen von der Munich Re, Menhart, sogar noch verschärfen. Viel hänge vom weiteren Verlauf des Krieges und einer möglichen Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland ab – inklusive eines Öl- und Gasembargos. Angesichts der hohen Teuerung komme der Fiskalpolitik – also einem Engagement des Staates beispielsweise über Steuersenkungen – wieder eine größere Bedeutung zu. Die Ökonomen sprachen von einem „Regime-Shift“ weg von der Geldpolitik angesichts der Tatsache, dass die Notenbanken mit ihren Mitteln den aktuellen Preisauftrieb kaum dämpfen könnten. „Wir können die Energiepreise nicht deckeln, deshalb müssen wir den Bedürftigen helfen“, so Subran.
Energiepolitische Sanktionen hätten hohen Preis am Arbeitsmarkt
Ungeachtet der sozialpolitischen Folgen der hohen Inflation hält Subran weitere Schritte gegen Russland für nötig: „Handels- und Finanzsanktionen sind nicht genug.“ Er verwies auf die 700 Millionen Dollar, die Russland pro Tag für seine Energieexporte einnimmt. Deutschland wäre wegen seiner industriell geprägten Wirtschaft von einem Gas- oder Ölembargo stärker betroffen als andere europäische Staaten. Jede Verringerung der Energieversorgung um ein Prozent hätte den Verlust von 30.000 Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe zur Folge, so Subran. „Der Kriegspreis ist hoch, für Unternehmen wie auch Familien“, räumte der Allianz-Chefvolkswirt ein. Die starke Energieabhängigkeit von Russland sei für Deutschland ein Schockmoment, vergleichbar mit der fiskalpolitischen Schieflage für Griechenland 2011. „Unser Wohlstand basiert auf Selbsttäuschung.“ Das betreffe nicht nur die Auswirkungen auf die Umwelt, sondern eben auch Sicherheitsaspekte.
Auf Versicherer kommen „langfristige tektonische Veränderungen“ zu
Auch nach Menharts Meinung zahlt Deutschland jetzt den Preis für die energiepolitische Abhängigkeit, in die es sich begeben habe. Einen raschen Verzicht auf russisches Öl oder Gas hält er für nicht realistisch. „Die Warnung aus der Industrie vor Produktionsengpässen zeigt, dass es ein Risiko gibt, das auch relevant ist.“ Langfristig müsse Deutschland aber umdenken. Das Geschäftsmodell – billige Energie aus Russland zu importieren, mit ihr Produkte herzustellen, um sie teuer nach China zu verkaufen, und sich selbst von den USA schützen zu lassen – sei in Gefahr. Auch die Versicherer müssten sich mit den „langfristigen tektonischen Veränderungen“ infolge des Krieges befassen: „Das gilt in Deutschland für den Umbau des Wirtschaftsmodells, das betrifft auch aber die internationalen Handelsbeziehungen mit einer möglicherweise neuen Blockbildung“, so Menhart.
Positive Effekte: Gestärkte Integration und Zinswende
Aus dieser Gemengelage ergeben für die Teilnehmer der Gesprächsrunde aber auch Chancen: Menhart erwartet für die Zukunft ein „Mehr an europäischer Kooperation“, wenn auch nicht ganz aus freien Stücken. Auch Subran hofft auf eine Einigkeit, die „über den Tag hinaus hält“. So wünscht er sich beispielsweise auch in der Fiskalpolitik ein europäisch koordiniertes Vorgehen. Zur anstehenden Neuausrichtung der Energiepolitik könnten die Versicherer mit ihrer Kapitalstärke zudem einen wichtigen Beitrag leisten.
Und noch etwas „Positives“ habe die aktuelle Krise: Der Druck auf die Europäische Zentralbank steigt, die Zinsen anzuheben. Zuletzt hatten mehrere Vertreter nationaler Notenbanken zur Eile bei der Straffung der Geldpolitik gemahnt: Neben einem baldigen Ende der Nettoanleihekäufe sprechen sich einige EZB-Ratsmitglieder sogar für Zinserhöhungen noch in diesem Jahr aus. „2022 wird vielleicht das Jahr sein, in dem wir uns auch in Europa von einem negativen Zinsumfeld verabschieden“, sagte Haegeli.