Nachhaltigkeit bei Versicherern: Marathon, kein Sprint
Welche Rolle spielen ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen der Versicherungsunternehmen? Eine Assekurata-Befragung zeigt, welchen Einfluss die aktuelle Konjunktur auf die Entscheidung der Asset Manager hat.
Die Anlagestrategen der Versicherungskonzerne haben ein hohes Gefährdungspotenzial für die schwächelnde deutsche Wirtschaft ausgemacht. Top-Risiken sind Fachkräftemangel, Lohn-Preis-Spirale und ein möglicher Konjunktureinbruch mit einer längerfristigen Rezession. Auch Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben, werden als potenzielle Gefahr gesehen. Das ergab eine von der Assekurata im Frühsommer durchgeführte und nun veröffentlichte Befragung der Asset Manager.
Risiken der Klimakrise beeinflussen Investments bei Versicherern
Die Kölner Ratingagentur wollte wie schon im Vorjahr wissen, wie sich das konjunkturelle Umfeld auf die Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage auswirkt. Bemerkenswert: Die Kapitalmarktexperten der Versicherer stufen mögliche Verwerfungen, die sich aus der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft ergeben können, sogenannte transitorische Risiken, als weitaus größer ein als physische Risiken (z. B. Extremwetterereignisse) der Klimakrise. „Offenbar entfaltet die hohe Regulierungsintensität der EU im Zusammenhang mit dem Green Deal, der den europäischen Kontinent ab spätestens 2050 zu Klimaneutralität verpflichtet, eine spürbare Wirkung“, sagt Lars Heermann, Assekurata-Bereichsleiter Analyse und Bewertung.
Wichtigstes Motiv für ESG-Investments sind regulatorische Anforderungen beeinflussen
Hierzu passt, dass die Motivation der Kapitalanleger zur Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Umwelt, Gesellschaft, Unternehmensführung) in erster Linie von den steigenden regulatorischen Anforderungen geprägt ist. Insgesamt gaben 89 Prozent der Befragten an, diesem Aspekt eine sehr hohe oder hohe Bedeutung beizumessen. „Außerdem werden die allgemeine gesellschaftliche Bedeutung des Themas und die Verbesserung der eigenen Reputation häufig als Treiber genannt“, sagt Heermann. Im Gegensatz dazu würden originäre finanzielle Motive, wie die Optimierung des Rendite-Risiko-Profils im Portfolio oder die Aussicht auf eine bessere Performance, in den Hintergrund treten.
Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorjahresbefragung von Assekurata hat auch die Umsetzung der Unternehmenswerte bzw. -strategie an Bedeutung eingebüßt. Hatten im Vorjahr noch 89 Prozent der Befragten diesem Aspekt eine sehr hohe oder hohe Bedeutung attestiert (Platz 2), sank dieser Wert nun auf 66 Prozent (Platz 4). Entweder, so Heermann, sind die Versicherer bereits recht weit bei der strategischen Umsetzung oder sie messen ESG insgesamt eine geringere Bedeutung in ihrer Unternehmensstrategie bei. Heermann: „Das wäre angesichts der gesellschaftspolitischen Relevanz des Themas überraschend.“
Vermittler halten Regulatorik für wenig praxistauglich
Nur noch ein untergeordnetes Motiv für die Umsetzung von ESG-Aspekten bei Investmententscheidungen spielen die Vermittler. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen im Kundenberatungsgespräch seit August 2022 durch die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD verpflichtend ist. „Wenn man sich in Vermittlerkreisen umhört, wird die Regulatorik an dieser Stelle oft als wenig praxistauglich angesehen“, sagt Assekurata Bereichsleiter Heermann. Dazu passe auch, dass die Kunden bei Versicherern aktuell nur im geringen Umfang nach ESG-Kriterien fragen.
ESG-Kriterien werden für Asset Manager wichtiger
Versicherungsunternehmen müssen sowohl physische als auch transitorische Risiken in ihrem Risikomanagement berücksichtigen. In ihrer Kapitalanlage sind ESG-Kriterien entsprechend weit verbreitet. „In unserer Umfrage geben rund die Hälfte der Befragten an, dass ESG-Kriterien“ eine hohe Bedeutung haben. Knapp 20 Prozent stufen sie sogar als sehr hoch ein“, sagt Heermann. Nur noch wenige Asset Manager würden dem Thema eine geringe Bedeutung beimessen. „Die Versicherungsbranche hat verinnerlicht, dass sie durch ihre Kapitalanlagen maßgeblich dazu beitragen kann, die Realwirtschaft in Richtung Klimaneutralität zu transformieren“, so Heermann. Allerdings variieren die Ambitionen und Herangehensweisen der Anbieter erheblich: „Einige beschränken sich darauf, die regulatorischen Anforderungen umzusetzen, was an sich schon ein großer Kraftakt sein kann. Andere hingegen verfolgen proaktive, glaubwürdige und ambitionierte Nachhaltigkeitsziele“, berichtet Heermann. „Die Wegstrecke zur klimaneutralen Kapitalanlage ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“