Stresstest: Versicherungsbranche im Kern widerstandsfähig
Neun von 44 Anbietern würden nach dem harten Szenario einer EIOPA-Untersuchung die aufsichtsrechtlichen Vorgaben nach einer Krise nicht erfüllen können. Die Ergebnisse werden dennoch positiv bewertet. Allerdings wollen viele Versicherer diese nicht veröffentlichen – zum Ärger der neuen Chefin der EU-Behörde.
Was passiert, wenn man die Versicherer unter Stress setzt? Das wollte die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) wissen und untersuchte die Widerstandsfähigkeit gegen mögliche negative Entwicklungen, diesmal vor dem besonderen Hintergrund des aktuellen Pandemie-Szenarios. Der EIOPA-Stresstest 2021 erfolgte auf Basis einer Kapital- und Solvenzbewertung, die erstmals auch durch eine Analyse der Liquiditätspositionen der Teilnehmer ergänzt wurde. An der Übung nahmen 43 Versicherungsgruppen und ein Einzelunternehmen teil, die etwa 75 Prozent des Versicherungsmarktes im Europäischen Wirtschaftsraum repräsentieren. Auch fünf deutsche Unternehmen (Allianz, Münchener Rück, HDI, R+V und Alte Leipziger-Hallesche) waren darunter.
Neun Versicherer im harten Szenario unter 100 Prozent bei Solvenzquote
Nach den nun veröffentlichen Ergebnissen kamen die Versicherer im Schnitt vor dem Schock-Szenario auf eine Kapitalquote von 218 Prozent nach dem Solvency-II-Standard. Diese würde an den Märkten auf 125,7 Prozent sinken, wenn die Versicherer keine Gegenmaßnahmen ergreifen könnten. Dabei wurde davon ausgegangen, dass der risikofreie Zinssatz sich sehr negativ entwickelt. Die Versicherer werden damit konfrontiert, dass sie in ihren Geldanlagen ein hohes Ausfallrisiko haben und Schuldner ihre Pflichten nicht erfüllen können. Zugleich entwickelt sich das Prämienaufkommen sehr ungünstig. Verschärft wird die Situation durch verschiedene Marktverwerfungen, die auch aus der Corona-Krise resultieren. Neun Unternehmen würden in diesem Szenario unter die kritische 100-Prozent-Marke fallen, ihre Finanzkraft wäre unzureichend. Nur bei einer Solvabilitätsquote von mindestens 100 Prozent wird davon ausgegangen, dass langfristig alle Kunden-Zusagen bedient werden können. Mit umgehenden Eingriffen in die Bilanz ließe sich im zweiten Stresstest-Szenario der Rückgang auf eine Solvenzquote von 139 Prozent begrenzen – sieben der neun gefährdeten Versicherer kämen damit wieder über die 100 Prozent.
Branche robust genug, um Negativszenario zu bewältigen
„Die Ergebnisse des Stresstests zeigen, dass die Versicherungsbranche auch in Stressszenarien grundsätzlich widerstandsfähig ist“, sagt Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Ohne die im Jahr 2032 auslaufenden Übergangsmaßnahmen sähen die Ergebnisse aber teilweise deutlich schlechter aus, so Grund. „Das Niedrigzinsumfeld bleibt eine Herausforderung.“ Ganzheitlich betrachtet sei die europäische Versicherungsbranche gleichwohl robust aufgestellt. „Der Rückgang der Solvenzquoten wäre für die deutschen Teilnehmer verkraftbar“, ordnet Grund die Ergebnisse ein. Auch die Maßnahmen für langfristige Garantien (Long Term Guarantee – LTG) entwickelten die angestrebte antizyklische Wirkung. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass die einbezogenen deutschen Unternehmen im Falle des Stressszenarios über ausreichend liquide Mittel zur Deckung des Liquiditätsbedarfs verfügen.
Zu einer ähnlichen Bewertung kommt Petra Hielkema, Vorsitzende der EIOPA. Die Niederländerin sagt: „Der Stresstest hat gezeigt, dass europäische Versicherer auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen ihre finanzielle Gesundheit bewahren können.“ Die Versicherten müssten sich zu keinem Zeitpunkt Sorgen um ihre versprochenen Leistungen machen. Dennoch werde ihre Behörde in den kommenden Monaten ihr Augenmerk auf die Schwachstellen richten, die in der Übung ans Licht gekommen sind.
Neue EIOPA-Vorsitzende fordert Offenlegungspflicht
Hielkema, die erst seit September im Amt ist, sandte bei der Vorstellung der Ergebnisse auch deutliche Worte in Richtung Branche. So sollen die Versicherer ihr individuelles Abschneiden in Stresstests künftig offenlegen müssen. Sie werde sich bei den Gesetzgebern in der EU dafür einsetzen, dass die Veröffentlichung der Einzelergebnisse verpflichtend werde, so Hielkema. Ihr Amtsvorgänger Gabriel Bernardino hatte das stets abgelehnt. Bei dem jetzt abgeschlossenen Belastungstest stimmten laut einem Bericht des „Handelsblatt“ nur acht von 44 Unternehmen einer Veröffentlichung zu, auch die fünf deutschen Teilnehmer hielten sich bedeckt. Sie hätten zum Teil Zweifel an der Aussagekraft des Stress-Szenarios geäußert, andere hätten eine Verunsicherung von Kunden und Anlegern befürchtet.