EZB erhöht Leitzins – was die Versicherer sagen
Größer als erwartet fiel der Schritt aus, mit dem sich die Europäische Zentralbank von ihrer Nullzins-Poltik verabschiedet. Zur Bekämpfung der grassierenden Inflation dürften weitere Maßnahmen folgen – die auch Folgen für die Versicherungswirtschaft haben.
Nach mehr als einem Jahrzehnt der lockeren Geldpolitik hat die Europäische Zentralbank (EZB) den angekündigten Einstieg in die geldpolitische Straffung beschlossen und damit die Zinswende eingeleitet. „Wir haben entschieden, die Zinsen um jeweils 0,5 Prozentpunkte anzuheben", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Frankfurt. Zugleich kündigte sie weitere Erhöhungen der Leitzinsen an. Der historische Abschied von der lockeren Geldpolitik bedeutet zugleich ein Ende der Strafzahlungen für Geschäftsbanken und der Null- oder sogar Minuszinsen für Sparer.
Deutliches Signal
Auf der vergangenen EZB-Ratssitzung in Amsterdam hatten die Währungshüter noch eine Anhebung von lediglich 0,25 Prozentpunkten in Aussicht gestellt. Zahlreiche Beobachter waren deshalb überrascht über das klare, wenn auch späte, Signal der EZB, den Kampf gegen die hohe Inflation aufzunehmen. „Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte", heißt es nun vonseiten der Notenbank. Die Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat. Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euro-Raum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Damit befindet sich die Teuerungsrate weit über dem von der EZB angestrebten jährlichen Ziel von um die zwei Prozent. Haupttreiber der Inflation sind deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage hier zusätzlich verschärft.
Komplizierte Gemengelage
Weil die (Energie-)Krise aber auch negative Folgen für die Konjunktur hat, ist die EZB beim Anziehen der Zinszügel in einer Zwickmühle: Höhere Sätze könnten die Rezessionsgefahr befeuern – insofern kommt der Schritt für einige Experten zur Unzeit. Denn höhere Zinsen verteuern Kredite und damit Investitionen von Unternehmen, aber auch von privaten Haushalten, und dämpfen damit das wirtschaftliche Wachstum. Andererseits hatten weltweit bereits zahlreiche Notenbanken an der Zinsschraube gedreht. Dadurch wurde der Euro tendenziell geschwächt – was wiederum Einfuhren verteuert und die Inflation treibt.
Zwei Seiten einer Medaille
Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bewertet die Zinserhöhung der EZB insgesamt positiv: „Sie kommt spät, ist aber richtig. Die Kapitalmärkte haben die Zinswende seit längerem eingepreist. Die Erhöhung um 50 Basispunkte ist – trotz der Vorankündigung einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte – durch die Datenlage für die Eurozone gerechtfertigt. Zugleich ist sie ein symbolträchtiger Schritt, der die Negativzinsphase beendet. Dennoch kann die heutige Zinserhöhung nur ein erster Schritt in einer Reihe gewesen sein.“
Die Folgen für die Branche sind vielschichtig: Zum einen besteht die Aussicht für Versicherer, Kapital künftig gewinnbringender anzulegen. Außerdem ergeben sich Vorteile bei den Kosten für die Schadensregulierung, wenn es gelingt, die Inflation in den Griff zu bekommen. Andererseits droht insbesondere Lebensversicherern bei einer Zinserhöhung eine Neubewertung von Vermögenswerten. Die Kurse der von ihnen gehaltenen festverzinslichen Anleihen sinken, es droht eine Abschreibung. Langfristig ist ein höheres Kapitalmarktzinsniveau aber grundsätzlich positiv für die Anlagepolitik, weil so Zinsversprechen gegenüber Kunden leichter einzuhalten sind.