„Grüne“ Atomkraft: AfW und Finanzwende sehen Rot
„Desaster“, „indiskutabel“: So stufen der Vermittlerverband AfW und der Verbraucherschutzverein Bürgerbewegung Finanzwende die nun getroffene Entscheidung der EU in Sachen Gas und Atomkraft ein. Diese können zukünftig als nachhaltig klassifiziert werden.
Eine Mehrheit im Europaparlament hat sich diese Woche hinter den Plan gestellt, Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke als klimafreundlich einzustufen. Im Plenum in Straßburg stimmten lediglich 278 Abgeordnete für einen Antrag zur Ablehnung des Öko-Label-Vorhabens, erforderlich wären 353 gewesen. Entscheidend waren die Stimmen der Christdemokraten, Liberalen und Rechtskonservativen, die mehrheitlich dagegen votierten. Gegner der Entscheidung kündigten umgehend an, gegen den Rechtsakt vor dem Europäischen Gerichtshof klagen zu wollen. Dazu gehören auch Österreich und Luxemburg. Sollte er allerdings Bestand haben, wird er vermutlich Anfang 2023 in Kraft treten.
Comeback für das Entsorgungsproblem der Atomkraft
Mit der nun gefällten Entscheidung können geplante Investitionen in neue AKW als nachhaltig klassifiziert werden, wenn die Anlagen neuesten Technikstandards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten. Bei der Einstufung neuer Gaskraftwerke soll relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können.
Eine entscheidende Rolle bei dem Vorhaben spielte Frankreich, das in der Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft sieht und die Technik gerne auch weiter in andere Länder exportieren will. Deutschland setzte sich im Gegenzug für ein grünes Label für Gas als Übergangstechnologie ein, fand für seine Position aber keine Mehrheiten.
Erweiterung der EU-Taxonomie
Formell ging es bei dem Votum im Parlament um einen ergänzenden Rechtsakt zur sogenannten Taxonomie-Verordnung der EU. Sie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken und so den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll. Für Unternehmen ist es relevant, weil es die Investitionsentscheidungen von Anlegern beeinflussen und damit zum Beispiel Auswirkungen auf Finanzierungskosten von Projekten haben könnte. Investoren sollen zudem in die Lage versetzt werden, Investitionen in klimaschädliche Wirtschaftsbereiche zu vermeiden.
Massive Kritik von AfW und Finanzwende
Das umstrittene Vorhaben löste erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Zustimmung kam unter anderem vom Bundesverband der Deutschen Industrie, Kritik von zahlreichen Umweltschutzverbänden. Die deutsche Versicherungswirtschaft hielt sich indes auffallend zurück. Der sonst so mitteilsame Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ließ nichts verlautbaren. Dafür positionierte sich der Vermittlerverband AfW umso deutlicher: „Wir halten das für einen indiskutablen Schritt in die völlig falsche Richtung und kontraproduktiv für die Akzeptanz regulatorischer Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit. Die Taxonomie verliert nachhaltig an Glaubwürdigkeit, wenn erkennbar interessens- aber nicht wissenschaftsbasierten Entscheidungen zulasten unserer Kinder und nachfolgender Generationen getroffen werden.“ sagt Norman Wirth, Geschäftsführender Vorstand des AfW.
Auch der Verein Bürgerbewegung Finanzwende sparte nicht mit Kritik: „Das Abstimmungsergebnis ist ein Desaster für nachhaltige Finanzmärkte und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Atom und Gas beschädigen die Glaubwürdigkeit der Taxonomie massiv. Statt Klarheit bei nachhaltigen Geldanlagen zu schaffen, wird diese Taxonomie bei Verbraucherinnen und Verbrauchern für Verunsicherung sorgen. Auch juristisch ist dieser Rechtsakt nicht sauber und widerspricht wohl der zugrundeliegenden Verordnung. Die Bundesregierung hat sich richtigerweise gegen Atom und Gas in der Taxonomie ausgesprochen. Sie steht deshalb nun in der Pflicht, alle Mittel auszuschöpfen, um diesen Irrsinn noch auf dem Rechtsweg zu stoppen“, so Magdalena Senn, Referentin nachhaltige Finanzmärkte.