16.09.2019 Recht | Ratgeber

Berufsunfähigkeitsversicherung: Keine Frage – keine Mitteilungspflicht

Wenn der Versicherer beim Antrag in der Berufsunfähigkeitsversicherung erkennbar auf bestimmte Gesundheitsfragen verzichtet, ist der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, dazu ungefragt Angaben zu machen. Ein Urteil dazu erläutert VP-Experte Norman Wirth.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Hintergrund.

Der Kläger war von Beruf Orthopädietechniker und bereits an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Er beantragte nach der Diagnose den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Antragsformular fragte der Versicherer explizit nur nach vier Krankheitsbildern: Krebs, HIV, psychische Erkrankungen, Diabetes. Nach MS wurde jedoch nicht gefragt. Deshalb gab der Kläger sein Leiden auch nicht an. Zudem kreuzte der Kläger an, seiner Berufstätigkeit auch noch vollständig nachgehen zu können – was jedoch so bereits nicht mehr der Fall war. Später dann beantragte der Kläger Leistungen aus der Versicherung.

Der Rechtsstreit.

Der Versicherer focht daraufhin den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an. Hinsichtlich der Angabe zur Arbeitsfähigkeit auch zu Recht, so das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe in der Berufungsverhandlung. Ein Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bestehe nicht (Az. U 156/16).

Die Entscheidungsgründe.

Eine arglistige Täuschung lag in diesem Fall indes nicht vor, da der Kläger nicht verpflichtet war, seine Krankheit anzugeben. Nur auf explizit gestellte Fragen muss der Versicherungsnehmer vollumfängliche und wahrheitsgemäße Antworten geben. Soweit der Versicherer seine Gesundheitsfragen beschränkt, ist ein Antragsteller auch nicht gehalten, darüber hinausgehende Erklärungen abzugeben. Jenseits dessen lag allerdings eine bewusste Falschangabe in Bezug auf die mitgeteilte Arbeitsfähigkeit vor. Der Kläger wusste um seine Erkrankung, vor allem aber um die damit verbundenen Ausfallerscheinungen, die sich auf seine Arbeitsfähigkeit auswirkten (z.B. eingeschränkte Feinmotorik). Eine uneingeschränkte Berufsausübung war ihm bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung eindeutig nicht mehr möglich. Dabei kommt es laut Urteil zum Verständnis der Arbeitsfähigkeit nicht auf die Grundsätze des Arbeitsrechts an, sondern auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.

Die verwandten Fälle.

In einem ähnlich gelagerten Fall entschied das Oberlandesgericht Thüringen, dass nach Antragstellung, aber noch vor Vertragsschluss, neu aufgetretene Erkrankungen nicht anzuzeigen seien (Az. U 740/13). Hier enthielten die Bedingungen des Versicherers nämlich die Regelung, dass keine Anzeigepflicht besteht, wenn nach Antragstellung weitere Krankheiten hinzukommen. Somit lag weder eine Verletzung der Anzeigepflicht noch eine Täuschung durch Unterlassen vor. Auch eine weitere durch den Versicherungsnehmer unterzeichnete Erklärung führte nicht zur Arglist, da diese nur bereits gemachte Erklärungen wiederholte.


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