28.01.2025 Recht | Ratgeber

Der Pilot-Fall und seine Auswirkungen

Ein Versicherer musste einem Piloten trotz dessen Genesung weiterhin Krankentagegeld zahlen. Laut BGH waren die Versicherungsbedingungen in diesem Fall klar zu seinen Gunsten auszulegen. FOCUS MONEY-Versicherungsprofi-Experte Norman Wirth erklärt die Hintergründe der Entscheidung.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Fall.

Der Kläger, ein Pilot, erkrankte Anfang 2017 an einer Beinvenenthrombose und bekam infolge der darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit Leistungen aus einer Kranken­tagegeld­versicherung. Die Tarifbedingungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des Versicherers enthielten u. a. den Zusatz „Bei fliegendem Personal (Piloten, Kabine) ist Fluguntauglichkeit gleichbedeutend mit Arbeitsunfähigkeit“. Nachdem der Kläger im Oktober 2017 medizinisch als genesen galt, stellte der Versicherer die Leistungen ein. Die Flugtauglichkeit, die für den Kläger unbedingt notwendig ist, um seinen Beruf ausüben zu dürfen, wurde ihm jedoch erst im Dezember 2017 wieder attestiert.
Er klagte deswegen auf Fortzahlung des Krankentagegeldes bis zum 15. Dezember 2017. Der Fliegerarzt habe ihm bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Landgericht und Oberlandesgericht gaben dem Kläger im Wesentlichen recht.

Das Urteil.

Der daraufhin angerufene Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision des Versicherers zurück. Die AVB seien so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehe. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit einem bestimmten Personenkreis geschlossen, komme es auf dessen Verständnis und Interessen an.
Diesem Grundsatz folgend bestätigte der BGH, dass durch den Zusatz in den Tarifbedingungen „Fluguntauglichkeit“ mit „Arbeitsunfähigkeit“ gleichzusetzen sei. Der Versicherungsschutz ende deshalb erst dann, wenn die Flugtauglichkeit wiederhergestellt und dies auch durch die zuständige Behörde bescheinigt wurde.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer dürfe die Police so verstehen, dass sie ihn vor den Folgen von Krankheiten oder Unfällen schütze, die ihn an der Ausübung seines Berufs hinderten – auch weil es an der notwendigen, behördlichen Flugtauglichkeitsbescheinigung fehle.

Die Bewertung.

Für den BGH bot die Entscheidung Gelegenheit dazu, Grundsätze der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu wiederholen und zu festigen. Diese Grundsätze gelten über das Versicherungsrecht hinaus auch für andere Vertragstypen, die von einer Vertragspartei vorformuliert wurden und für eine Vielzahl von Verwendungen gedacht sind, klassischerweise etwa für allgemeine Geschäftsbedingungen. Entscheidend ist stets, wie der Durchschnittsempfänger die streitige Klausel verstehen durfte.


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