22.04.2025 Branche

GDV: Stress wegen PFAS

Die neue Muster-Klausel des Versichererverbands GDV zum Umgang mit Schäden aus per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) stößt auf Kritik – unter anderem beim Großmakler Aon, der viele Industriekunden vertritt.

Während sich Plastik häufig gut recyceln lässt, sind PFAS, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, kaum oder nur mehr sehr schwer wieder entfernbar. Sie gelten deshalb als „Ewigkeitschemikalien”. (Foto: © Daisy Daisy - stock.adobe.com)
Während sich Plastik häufig gut recyceln lässt, sind PFAS, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, kaum oder nur mehr sehr schwer wieder entfernbar. Sie gelten deshalb als „Ewigkeitschemikalien”.
(Foto: © Daisy Daisy - stock.adobe.com)

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat eine Klausel für den Umgang mit Schäden durch sogenannte per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) für seine unverbindlichen Musterbedingungen erarbeitet. Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV, sieht die Klausel als ersten Schritt für einen Risikodialog zwischen Versicherern und Industrie: „Mithilfe dieser PFAS-Klausel können Versicherer Schäden durch diese Chemikalien grundsätzlich erst einmal ausschließen – um dann in einem zweiten Schritt mit den Kunden konkret zu vereinbaren, unter welchen Bedingungen und in welcher Höhe Schäden durch bestimmte PFAS-Verbindungen wieder versichert werden.“

Erst mal Fakten geschaffen?



Zur Vorbereitung entsprechender Risikodialoge entwickelt der Verband parallel zur PFAS-Klausel einen unverbindlichen Leitfaden, der die naturwissenschaftliche und juristische Einordnung der Risiken erleichtern soll. Dieses Vorgehen habe laut GDV Vorteile für beide Seiten: Bei Herstellern und Verwendern von PFAS rücken die bisher oft nur abstrakt wahrgenommenen Gefahren in den Fokus und werden sichtbar. Im Austausch mit den Versicherern setzen sie sich dadurch intensiver mit ihren Risiken auseinander – und mit den Möglichkeiten, die Gefahren einzudämmen. „Im Idealfall hilft die PFAS-Klausel so auch, schneller echte Alternativen zu den gefährlichen Formen der Ewigkeitschemikalien zu entwickeln“, so Käfer-Rohrbach.  


Wirtschaft kritisiert Vorpreschen



Die Industrie dagegen kritisiert die PFAS-Klausel des GDV scharf – und bekommt dabei Rückendeckung vom Großmakler Aon: „Wir bewerten die neuen unverbindlichen Musterbedingungen des GDV, PFAS-bezogene Schäden zunächst standardmäßig in Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherungen sowie Umweltrisikoversicherungen auszuschließen, kritisch. Denn dies erschwert die Absicherung solcher Schäden für die deutsche Wirtschaft ganz massiv”, erklärt Thomas Gahr, Director und Spartenleiter Haftpflicht und Luftfahrt bei Aon Deutschland.

Nicht alle Unternehmen seien in gleichem Maße von PFAS-Risiken betroffen, so Gahr. „Die Diskussion über PFAS sollte nicht mit einem pauschalen Ausschluss beginnen, sondern mit einer Analyse des individuellen Risikos. Aus guten Gründen sehen bisher die meisten Versicherer in Deutschland keine Standard-Ausschlüsse bezüglich PFAS in ihren Policen vor. Stattdessen wurden Einzelfalllösungen für Unternehmen mit signifikanter PFAS-Exposition gesucht. Ein Ausschluss ist dabei nur die letzte Option am Ende der Diskussion.”

Trend geht zu Ausschlüssen



Die meisten Ansprüche im Zusammenhang mit PFAS werden in den USA geltend gemacht. Dort ist der Einsatz von PFAS in einigen Bundesstaaten bereits eingeschränkt und es gibt schon seit mehr als zwei Jahrzehnten Rechtsstreitigkeiten zu verunreinigten Grundstücken, zu Wasserverschmutzung und in der Produkthaftung. Auch in Europa sind mittlerweile Klagen zu beobachten. Erst kürzlich hat BASF einige Versicherer verklagt, da diese Schäden resultierend aus PFAS nicht übernehmen wollten. „Wir beobachten zunehmend, dass Rückversicherer Ausschlüsse einführen. Lloyds in UK und die Internationale Organisation für Normung in den USA haben bereits Ausschlüsse beantragt“, sagt Michaela Kreß, Leiterin des Fachbereichs Haftpflicht beim Versicherungsmakler Funk.


Erste Verbote als Vorboten



Im Januar 2023 haben deutsche Behörden in Zusammenarbeit mit Kollegen aus den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Schweden einen Beschränkungsvorschlag PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Im September 2024 wurde eine neue EU-Verordnung verkündet, die den Einsatz bestimmter Stoffe nach unterschiedlichen Übergangszeiten, darunter ab Oktober 2026 in einigen wichtigen Alltagsprodukten, verbietet. Betroffen sind z. B. Regenjacken, Pizzakartons und andere Lebensmittelverpackungen, Imprägniersprays und bestimmte Kosmetika wie Hautpflegeprodukte. Über Einschränkungen in industriellen Anwendungsfeldern wird noch diskutiert. Da die Stoffe schwer ersetzbar sind, dürfte es großzügige Übergangsfristen geben.

Was sind PFAS?

PFAS - per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen - sind eine umfangreiche Gruppe von Industriechemikalien. Es handelt sich um organische, vom Menschen hergestellte Verbindungen, die nicht in der Natur vorkommen. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften (wasser- und fettabweisend, stabil und langlebig) werden sie seit Jahrzehnten in vielen Industriebereichen und Konsumentenprodukten eingesetzt – etwa bei Textilien (z. B. Wanderbekleidung, persönliche Schutzausrüstung, technische Textilien) oder Lebensmittelkontaktmaterialien und Verpackungen. Sie kommen aber auch bei der Herstellung von hochtechnologischen Produkten wie z. B. Halbleitern bzw. bei Verchromungsprozessen, als Kältemittel, in Feuerlöschschäumen und in vielen weiteren Bereichen zum Einsatz. Polyfluorierte Alkylsubstanzen können in der Umwelt oder im Organismus zu den extrem persistenten perfluorierten Alkylsubstanzen transformiert werden. Vor allem diese sind nachweislich toxisch, reichern sich in der Nahrungskette an oder sind mobil. Alle PFAS sind, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, kaum oder nur mehr sehr schwer wieder entfernbar. Eine Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Schluss, dass ein beträchtlicher Teil der europäischen Bevölkerung über die Lebensmittelkette Konzentrationen ausgesetzt ist, die über der wöchentlichen tolerierbaren Aufnahmedosis liegen.


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