18.05.2021 Recht | Ratgeber

Krankentagegeld: Wann liegt eine Berufsunfähigkeit vor?

Die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit ist der Maßstab, um eine Berufsunfähigkeit gemäß Musterbedingungen beurteilen zu können. Auf eine mögliche Umorganisation kommt es nicht an. Die Hintergründe zu einem BGH-Urteil erklären die Rechtsanwälte und VP-Experten Ostheim und Klaus.

Experten-Duo: Oliver Klaus (l.) und Oliver Ostheim sind Profis in Sachen Versicherungsrecht: www.ok-rechtsanwaelte.de (Foto: OK Rechtsanwälte)
Experten-Duo: Oliver Klaus (l.) und Oliver Ostheim sind Profis in Sachen Versicherungsrecht: www.ok-rechtsanwaelte.de
(Foto: OK Rechtsanwälte)

Der Fall.

Die Klägerin war als Dermatologin in einer Gemeinschaftspraxis tätig und führte dort vor allem chirurgische Eingriffe durch. Infolge einer Hirnblutung konnte sie diese Operationen nicht mehr vornehmen. Die Praxis sollte daraufhin grundlegend umstrukturiert werden und die Ärztin im Wesentlichen nur noch im Rahmen von Beratungen tätig sein.

Der Rechtsstreit.

Der Krankentagegeldversicherer stellte die Leistungen unter Hinweis auf Berufsunfähigkeit gemäß seiner Musterbedingungen (§ 15 Abs. 1 b MB/KT) ein. Die Ärztin meinte, für eine Berufsunfähigkeit komme es auf das allgemeine Berufsbild und nicht auf die von ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit an. Die berufliche Tätigkeit als Dermatologin in einer Gemeinschaftspraxis hätte sie nach Umstrukturierung der Praxis ohne die weiteren Erkrankungen im fraglichen Zeitraum ausüben können.

Die Entscheidung.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Der BGH (Az. IV ZR 422/15) hebt hervor, dass in der Krankentagegeldversicherung bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit der versicherten Person in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich und die Möglichkeit einer Umorganisation nicht zu berücksichtigen sei. Der Krankentagegeldversicherung ist eine Verweisung auf eine Umorganisation der Arbeitsabläufe fremd. Der Wortlaut der Musterbedingungen, der auf den „bisher ausgeübten Beruf“ abstellt, lässt nicht offen, ob darunter der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung oder nur ein allgemeines Berufsbild zu verstehen ist. Der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer versteht laut BGH unter den beiden Begriffen dasselbe, nämlich den Beruf in seiner konkreten Ausprägung, so wie die versicherte Person ihn zuletzt ausgeübt hat. Entscheidend ist, dass der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung seiner bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann.

Der Ausblick.

Der Beschluss des BGH führt die bisherige Rechtsprechung konsequent fort. Es kommt gerade nicht darauf an, dass sich die berufliche Tätigkeit als solche nach dem allgemeinen Berufsbild bestimmt. Der Versicherungsfall in der Krankentagegeldversicherung wird daher nicht durch eine Gleichsetzung des Begriffs der beruflichen Tätigkeit mit dem des Arbeitsplatzes bestimmt. Die klare Trennung zwischen Beruf und Arbeitsplatz erleichtert den Umgang mit der Berufsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung und die Bewertung der vertraglichen Ansprüche


Weitere Artikel

Listing

19.06.2025 Recht | Ratgeber

Nach falscher Auskunft: Versicherter geht leer aus
 

Müssen sich Versicherte grundsätzlich auf die Zusagen ihres Versicherungsvertreters verlassen können? Das Landgericht Saarbrücken urteilte: „Ja“. Doch das letzte Wort war hier noch nicht gesprochen. Die FOCUS MONEY-Versicherungsprofi-Experten Jem Schyma und Raimund Mallmann erklären, warum das Urteil kassiert wurde – und weshalb Versicherte künftig dennoch gute Karten haben könnten.

> weiterlesen
Listing

01.06.2025 Recht | Ratgeber

Keine Leistung trotz Versicherungsgutachten?

Verkehrte Welt: Ein Versicherer hat Zweifel an seinem eigenen Gutachten und verweigert einem Handwerker die Leistung wegen Berufsunfähigkeit. Das OLG Nürnberg hat sich mit dem Fall befasst. Rechtsanwalt Norman Wirth, Kolumnist des FOCUS MONEY-Versicherungsprofi, erläutert die Tragweite des Urteils.

> weiterlesen
Listing

13.05.2025 Recht | Ratgeber

Kind gerettet, Auto kaputt – haftet der Versicherer?

Um sein Kind zu befreien, das versehentlich im Auto eingesperrt war, schlug ein Vater die Fensterscheibe ein. Dies sei „Vorsatz“, argumentierte der Kaskoversicherer und verweigerte die Zahlung. Jem Schyma und Raimund Mallmann erörtern den interessanten Fall, der von der Versicherungsombudsfrau entschieden wurde.

> weiterlesen