Kolumne 24.08.2021 Recht | Ratgeber

Pauschalreisen: Neue Insolvenz­sicherung von Reise­veranstaltern

Ein Reisesicherungsfonds soll künftig gewährleisten, dass Pauschalurlauber nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben, wenn der Veranstalter pleitegeht. Versicherungslösungen bleiben für kleine Anbieter möglich. Ein Thema für Rechtsanwalt und VP-Experten Dr. Markus Weyer.

Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com). (Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)
Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com).
(Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)

Das Gesetz.

Seit Juli ist das Gesetz über die Insolvenzsicherung durch Reisesicherungsfonds (Reisesicherungsfondsgesetz, RSG) in Kraft. Die Novelle ist ein Systemwechsel in der Insolvenzabsicherung für Pauschalreisen. Die Neuregelung wird für Reisebuchungen ab November 2021verpflichtend

Der Sündenfall.

Die Pauschalreiserichtlinie der Europäischen Union (EU-Richtlinie 2015/2302) verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Regelung einer Insolvenzabsicherung von Reiseveranstaltern. Vorauszahlungen der Reisenden und ihr vertraglich zugesagter Rücktransport müssen abgesichert werden. In Deutschland geschah das überwiegend durch den Abschluss einer Versicherung, deren Haftung in der Praxis auf 110 Millionen Euro pro Jahr begrenzt wurde. Die Insolvenz des Touristikkonzerns Thomas Cook und der Tour Vital Touristik 2019 veränderte alles. Der Schaden von über 250 Millionen Euro zeigte, dass Reisende wegen der Haftungsbegrenzung in Deutschland Gefahr liefen, nicht den von der EU geforderten Vollschutz zu bekommen.

Im Juni 2020 legte die Bundesregierung ein Eckpunktepapier zu einem grundlegenden Umbau der bisherigen Regelung insbesondere in § 651r des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor. Am 31. März dieses Jahres präsentierte die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf, am 9. Juni folgte die Beschlussempfehlung des Bundestags.

Die Systematik.

Die Neuregelung stellt einen Paradigmenwechsel dar. Künftig erfolgt die Insolvenzsicherung über einen Reisesicherungsfonds, der in der Rechtsform einer GmbH organisiert ist. Dieser verwaltet ein Fondsvermögen, das die Reiseveranstalter durch Beiträge finanzieren. Der Reisesicherungsfonds löst die bisher von den Versicherungen und Banken angebotenen Absicherungsformen grundsätzlich ab. Rechtsgrundlage ist das RSG. Weitere Einzelheiten regelt eine Verordnung.

Bevor im Insolvenzfall aber der Reisesicherungsfonds einspringt, wird zunächst eine bonitätsabhängige Sicherheit verwertet, die künftig jeder Reiseveranstalter hinterlegen muss. Anschließend darf auf den Fondskapitalstock zugegriffen werden. Letzte Sicherheit sollen dann noch eine Rückdeckungsversicherung und Kreditzusagen bieten.

Die Spielregeln.

Der § 651r BGB wurde neu gefasst. Nach wie vor ist ein Reiseveranstalter gesetzlich zur Insolvenzsicherung verpflichtet, wenn er Vorauszahlungen fordert, annimmt oder der Pauschalreisevertrag eine Rückbeförderung des Reisenden umfasst. Ab 1. November 2021 kann ein Reiseveranstalter seine Pflicht zur Insolvenzabsicherung grundsätzlich nur noch durch einen Absicherungsvertrag mit einem nach dem RSG befugten Reisesicherungsfonds erfüllen. Dieser Fonds gewährleistet dann im Verhältnis zum Reisenden die Erfüllung der Pflichten des Anbieters zur Erstattung der Vorauszahlungen und zum Rücktransport der Reisenden. Die neuen Regelungen gelten entsprechend auch für Vermittler verbundener Reiseleistungen.

Nur Reiseveranstalter, die im vorherigen Geschäftsjahr einen Umsatz von weniger als zehn Millionen Euro erzielten,
dürfen ihre Insolvenzabsicherungspflicht noch durch Abschluss einer Police bei einem in Deutschland zugelassenen
Versicherer erfüllen. Allerdings können Versicherer ihre Einstandspflicht für jede Insolvenz des Reiseveranstalters, der im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr einen Umsatz von weniger als drei Millionen Euro erzielt hat, auf eine Million
Euro begrenzen. Für Reisende besteht hier zumindest theoretisch das Risiko, im Insolvenzfall auf einem Teil der Kosten sitzen zu bleiben. Denn ihre Leistungsansprüche verringern sich in dem Verhältnis, in dem ihr Gesamtbetrag zum Höchstbetrag steht. Für alle anderen Reiseveranstalter gilt, dass sie einen Absicherungsvertrag mit dem Reisesicherungsfonds abschließen müssen.

Der Ausblick.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßte die zügige Gesetzesreform. Die Versicherungswirtschaft hatte im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Reiseinsolvenzabsicherung stets auf eine schnelle Systemumstellung auf den Reisesicherungsfonds gedrungen, um einen nahtlosen Deckungsschutz der Reiseanbieter sicherzustellen. Die schnellstmögliche Haftungsübernahme durch den Fonds war aus der Sicht der Versicherer insbesondere deshalb von elementarer Bedeutung, weil der Versicherungsschutz vieler Reiseveranstalter zum 30. Juni dieses Jahres endete. Abzuwarten bleibt, wie die Versicherungswirtschaft auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren wird.

Auch der der Deutsche Reiseverband (DRV) ist mit der nun beschlossenen Lösung zufrieden. Kleine und mittelständi-
sche Unternehmen mit einem Umsatz von unter zehn Millionen Euro können sich weiterhin für eine individuelle Versicherungslösung oder Bankbürgschaft entscheiden. Dies gilt auch für Gelegenheitsveranstalter oder Hotels, die Zusatzleistungen anbieten.


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