Kolumne 19.10.2021 Recht | Ratgeber

PKV: Kein Ausschluss bei unklarer Fragestellung

VP-Experte Norman Wirth stellt klar: Es liegt keine Anzeigeverletzung des Kunden vor, wenn er im Antrag auf die Frage des Versicherers nach Anomalien in puncto Zahn und Kieferstellungen einen Backenzahn-Engstand nicht angibt.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Fall.

Ein Versicherungsnehmer (VN) beantragte im März 2017 für sich und seine Tochter eine private Krankheitskosten- und Pflegeversicherung. Der Antrag enthielt unter anderem die Frage, ob in den vergangenen drei Jahren Behandlungen durchgeführt und Anomalien festgestellt worden seien. Den Engstand der Backenzähne seiner Tochter gab der VN dabei nicht an. Im Sommer 2017 brach der Tochter durch einen Unfall ein Zahn ab. Der behandelnde Arzt diagnostizierte die Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung.

Der Streit.

Daraufhin wollte der Versicherer nachträglich einen Leistungsausschluss für kieferorthopädische Behandlungen in den Vertrag einfügen. Wegen der Anzeigepflichtverletzung sei der Vertrag so anzupassen, dass die Leistungspflicht für Kieferanomalien entfalle. Die Änderung wurde im Nachtrag zum Versicherungsschein dokumentiert. Der VN setzte sich dagegen zur Wehr und berief sich unter anderem darauf, dass ihm vor dem Unfall eine kieferorthopädische Behandlungsbedürftigkeit nicht bekannt gewesen sei. Er verlangte die Erstattung von Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung seiner Tochter.

Die Entscheidung.

Seine Klage vor dem Landgericht blieb jedoch erfolglos. Dagegen wehrte sich der VN aber überwiegend erfolgreich mit seiner Berufung vor dem OLG Frankfurt (Az. 7 U 44/20). Die Richter entschieden, dass der Engstand der Backenzähne keine anzeigepflichtige Anomalie darstelle. Der Versicherer habe nicht das Recht gehabt, den Vertrag unter Aufnahme einer Ausschlussklausel für kieferorthopädische Behandlungen anzupassen. Für den durchschnittlichen VN sei nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen sei. Er wird eine Anomalie eher als Missbildung oder körperliche Behinderung auffassen und nicht als Kieferfehlstellung. Hinzu komme, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei, der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Klägers aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels aber naturgemäß Änderungen unterworfen gewesen sei. Die Frage verlange jedenfalls dem Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung ab.

Die Bewertung.

Mit dieser Entscheidung wird zugunsten der Versicherten ein Signal gesetzt. Der Senat hat verdeutlicht, dass unklar gestellte Gesundheitsfragen im Antrag den Versicherer nicht zu nachträglichen Leistungsausschlüssen berechtigen. Eine Anzeigepflichtverletzung kommt nicht in Betracht. Auch ein nachträglicher Rücktritt vom Krankenversicherungsvertrag wäre unzulässig.


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