Kolumne 03.01.2023 Recht | Ratgeber

Streit um Klausel: Was ist eigentlich ein Erdrutsch?

Abrutschen oder abgleiten? „Sinnlich wahrnehmbar“ oder doch unbemerkbar? VP-Experte Dr. Markus Weyer kommentiert ein aktuelles BGH-Grundsatzurteil, das eine Vielzahl von Versicherten betreffen dürfte.

Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com). (Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)
Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com).
(Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)

Die Ausgangslage.

In der Elementarschadenversicherung wird ein Erdrutsch als ein „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen“ bezeichnet. Was aber, wenn Erde und Gestein nicht spontan, sondern unerkannt und über längere Zeit abrutschen?

Der Fall.

Der Versicherungsnehmer (VN) verfügt über eine Wohngebäudeversicherung mit der Elementarschadenklausel WGB F 01/08, die auch „Erdrutsch“ umfasst. Das Grundstück des VN liegt am Rand einer vor ca. 80 Jahren am Hang aufgeschütteten Terrasse. 2018 zeigte der VN bei der Versicherung (VR) Schäden durch Rissbildungen an seinem Wohnhaus und auf der zugehörigen Terrasse an. Der mit 100 000 Euro bezifferte Schaden sei durch nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr verursacht worden. Die VR lehnte die Zahlung jedoch ab.

Der Rechtsstreit.

Sowohl das Landgericht Bamberg (Az. 41 O 301/20) als auch das Oberlandesgericht Bamberg (Az. 1 U 127/21) wiesen die Klage des VN ab. Es fehle bereits am Versicherungsfall. Ein „Erdkriechen“ sei eben kein Erdrutsch. Der durchschnittliche VN verstehe unter „Erdrutsch“ einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang. Über längere Zeit unbemerkt bleibende Erdbewegungen seien kein „Abgleiten“ oder „Abstürzen“. Es fehle ein Bewegungsmoment, das sich mit einer ersichtlichen Dynamik vollzöge.

Das BGH-Urteil.

Der Bundesgerichtshof sah dies anders. Der in der Wohngebäudeversicherung als „naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen“ definierte Begriff „Erdrutsch“ erfasse auch Schäden am Versicherungsobjekt, die durch allmähliche, nicht augenscheinliche naturbedingte Bewegungen von Gesteins- oder Erdmassen verursacht werden. Die Auslegung der Klausel ergebe, dass sie eben nicht auf plötzliche und sinnlich wahrnehmbare Vorgänge beschränkt ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer nehme zwar „Abstürzen“ als ein plötzliches Ereignis wahr, nicht aber das hier gegebene „Abgleiten“(Az. IV ZR 62/22).

Der Ausblick.

Das Urteil ist nicht auf die Wohngebäudeversicherung beschränkt. Es dürfte weitreichende Bedeutung für alle Elementarschadenversicherungen mit Erdrutschklauseln haben. Der BGH entschied einen schon lange unter Juristen schwelenden Streit, den auch mehrere OLG unterschiedlich sahen. Wichtig ist, dass der BGH seine Wertung auf eine Auslegung der Klausel stützt. Abweichungen von der hier entschiedenen Klausel könnten folglich zu anderen Ergebnissen führen.


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