29.12.2020 Recht | Ratgeber

Was eine erhöhte Kraft­anstrengung in der privaten Unfall­versicherung bedeutet

VP-Experte Norman Wirth präsentiert ein Urteil, das zeigt, wie sehr es auf die Umstände im Einzelfall ankommt, ob ein entstandener körperlicher Schaden von den Bedingungen der privaten Unfallversicherung gedeckt ist.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Sachverhalt.

Eine 50-jährige Frau hatte vom Fahrersitz ihres Cabriolets aus zwischen den Sitzen nach hinten gegriffen, um aus einem schweren Karton einen Flyer zu ziehen. Der Karton befand sich auf der Rückbank. Als die Klägerin den Karton, der angeblich ca. 25 Kilogramm wog, ungefähr zehn Zentimeter angehoben hatte, um ihn näher an sich heranzuziehen, verspürte sie plötzlich einen stechenden Schmerz im Bereich ihrer rechten Schulter sowie im Oberarm.

Der Rechtsstreit.

Die Klägerin beanspruchte nun Leistungen aus ihrer privaten Unfallversicherung. Sie begründete dies damit, dass der Vorfall zu einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung (Invaliditätsgrad 28 Prozent) geführt habe. Sie berief sich auf die Vertragsbedingungen, wonach ein Unfall auch vorliegt, „wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden“. Die Versicherung lehnte jegliche Zahlung ab. Nach ihrer Auffassung lag keine erhöhte Kraftanstrengung vor. Die Frau klagte.

Das Urteil.

Das OLG München wies die Klage ab (Az. 25 U 543/19). Die Klägerin habe eine plan- und willensmäßige Bewegung ausgeführt. Für die Erfüllung des Unfallbegriffs sei jedoch eine Einwirkung von außen erforderlich. Hier lag aber eine alltagsübliche Anstrengung des täglichen Lebens vor, indem sie versucht habe, den Karton anzuheben, um ihn nach vorn zu ziehen. Es lag auch keine „erhöhte Kraftanstrengung“ im Sinne der Vertragsbedingungen vor, bei der ein Einsatz von Muskelkraft vorliegen muss, der über den normalen, mit jeder körperlichen Bewegung verbundenen Kraftaufwand hinausgehe. Für das Gericht war nicht erwiesen, dass der Karton tatsächlich 25 Kilogramm gewogen habe. Bei diesem Gewicht hätte die Klägerin diesen kaum mit einer Hand zehn Zentimeter hoch anheben können. Das OLG ging davon aus, dass nicht das volle Gewicht auf ihrer Hand beziehungsweise ihrem Arm gelegen hatte, als die Klägerin den Karton etwas angehoben hatte, um ihn näher an sich heranzuziehen. Insofern müsse es sich um eine häufig vorkommende, alltägliche Bewegung gehandelt haben, die recht üblich beim Hervorholen von Gegenständen von der Rückbank sei. Damit lag auch für die Richter kein Unfall vor.

Der Praxishinweis.

Das Urteil ist nachvollziehbar. Aufgrund des subjektiven Empfindens und der persönlichen Folgen für die Klägerin war ihre Vorgehensweise aber verständlich. Was eine „erhöhte Kraftanstrengung“ im Sinne der Versicherungsbedingungen ist, bleibt je nach individuellem Sachverhalt zu beurteilen. Solche Fälle sollten immer professionell juristisch begleitet werden.


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