Exklusiv 25.07.2022 Vermittlerwelt

Die nachhaltige Beratung meistern

Klimawandel trifft Versicherungsvertrieb: Ab August müssen Vermittler bei der Beratung von Versicherungsanlageprodukten die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen. Doch bei der Umsetzung sind noch viele Fragen offen. FOCUS-MONEY-Versicherungsprofi hat Experten um Rat gefragt.

Mit neuen Regeln für den Versicherungsvertrieb will die EU so viel Geld wie möglich in nachhaltige Investments lenken. Ab kommender Woche unmittelbar davon betroffen sind auch die Vermittler. (Foto: © IckeT - stock.adobe.com)
Mit neuen Regeln für den Versicherungsvertrieb will die EU so viel Geld wie möglich in nachhaltige Investments lenken. Ab kommender Woche unmittelbar davon betroffen sind auch die Vermittler.
(Foto: © IckeT - stock.adobe.com)

Versicherer mahnen Klimaschutz an.

Als Hitzetag in Deutschland gilt, wenn an mindestens einer Messstation des Deutschen Wetterdienstes (DWD) das Thermometer die 30-Grad-Marke überschreitet. Das war bis Ende Juni bereits zwölfmal der Fall. Damit erwies sich das Jahr 2022 schon zum Sommerstart als überdurchschnittliches Hitzejahr, meldet der Branchenverband GDV. Weil die aufgeheizte Atmosphäre mehr Feuchtigkeit speichert, drohen intensivere Starkregen, Hochwasser und Sturzfluten. „Die dynamische Zunahme der Hitzetage zeigt, dass der Klimawandel auch in Deutschland deutliche Spuren hinterlässt“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen und mahnt, den „menschengemachten Klimawandel“ zu begrenzen, „so wie im Abkommen von Paris vereinbart“.

Geld in nachhaltige Anlagen lenken.

Das Thema wird auch für Makler schon in Kürze zur Herausforderung. Mit dem Pariser Klimaabkommen der Vereinten Nationen (UN) von 2015 haben sich die Staaten verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf dieser Grundlage und auf Basis der Agenda 2030 der UN hat die EU-Kommission im März 2018 einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem aufgelegt. Eines der wichtigsten Ziele: Kapitalflüsse in den Umbau einer nachhaltigen Wirtschaft zu lenken. Hier kommt die Assekuranz ins Spiel, denn der Aktionsplan sieht neue Regularien für die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive, IDD) vor. Damit sind alle Versicherungsvermittler ab dem 2. August verpflichtet, Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen.

Große Wissenslücken rund um die Abfragepflicht.

Doch wie soll die Abfrage ablaufen? Unter den Vertriebsprofis herrscht große Verunsicherung rund um die IDD-Änderungsverordnung 2021/1257. Das belegt eine Studie, die der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) und das Nachhaltigkeitsnetzwerk für die Finanzdienstleistungsbranche GSN (German Sustainability Network) im Frühjahr unter 300 Vermittlern durchgeführt haben. Danach fühlen sich fast 70 Prozent der Befragten „gar nicht“ oder „wenig“ über den Inhalt der anstehenden Regulatorik informiert. Über die Vorgaben zum Beratungsprozess selbst wissen knapp 72 Prozent nichts oder kaum etwas. „Die aktuelle Blitzumfrage stützt das Bild einer unsicheren Branche, was jedoch nicht überrascht“, meint GSN-Fokusbereichsleiter Timo Biskop. Schließlich seien „konkrete Merkmale für den Beratungsprozess noch nicht final“. Auch an der Ansprache der Kunden mangelt es bisher noch gewaltig. Nur etwa jeder siebte Vermittler hat in den vergangenen zwölf Monaten seine Kunden mindestens 50-mal aktiv auf Nachhaltigkeitsaspekte angesprochen. Fast ein Drittel der Befragten nie.

Informationen fehlen. Von Ablauf bis Ziele – die neue Regulatorik lässt noch viele Fragen offen. In allen Punkten fühlt sich die Mehrheit nicht ausreichend informiert.
Quelle: BVK – 2022
Interesse an grünen Themen. Die Motivation stimmt: Drei von vier Maklern sind aus Überzeugung an nachhaltigen Themen interessiert, fast ebenso viele sind neugierig darauf.
Quelle: BVK – 2022
Noch viel Zurückhaltung. Bei der aktiven Ansprache der Kunden durch Versicherungsmakler ist bisher noch viel Luft nach oben. Mehr als die Hälfte der Befragten hat binnen zwölf Monaten das Thema nie oder sehr selten angeregt.
Quelle: BVK – 2022

Für Leben-Produkte der dritten Schicht.

Das muss sich trotz aller Unsicherheit schon in wenigen Wochen ändern. Denn mit der IDD-Änderungsverordnung wird aus der Kür eine Pflicht. Fest steht bisher: Von den neuen Beratungspflichten betroffen sind alle Mitarbeiter von Unternehmen, die Wertpapiere vertreiben, sowie Versicherungsvermittler bei der Beratung von Versicherungsanlageprodukten – den sogenannten IBIPs (Insurance-based investment products). Ob klassische Kapitallebensversicherung, fondsgebundene Lebensversicherungen oder Hybridprodukte, gemeint sind alle Lebensversicherungsprodukte der dritten Schicht. Vermittler können sich einfach an diesem Grundsatz orientieren: „Von der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenz betroffen sind alle Versicherungsvertreiber, die auch jetzt schon bei der Beratung von IBIPs eine Geeignetheitsprüfung erbringen müssen“, so ein GDV-Sprecher. Dagegen sind Finanzanlagenvermittler nach §34f GewO – zumindest bisher – von der Pflicht ausgenommen, wie das Bundeswirtschaftsministerium jüngst verkündete. Fachleute sehen das jedoch kritisch. „Das kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein und ist auch mit gesundem Menschenverstand nicht nachzuvollziehen“, kritisiert Daniel Regensburger, Geschäftsführer des Versicherers Pangaea Life.

EIOPA-Leitlinien geben Abfolge vor.

Während des Beratungsprozesses findet die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen an der Stelle der Geeignetheitsprüfung statt. Laut GDV sehen die geplanten neuen Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA vor, dass Vermittler zuerst die Kenntnisse und Erfahrungen des Versicherungsnehmers im Anlagebereich abfragen, dann seine finanziellen Verhältnisse, gefolgt von den Anlagezielen (inklusive Risikotoleranz) und daran anschließend die Nachhaltigkeitspräferenz. Doch was die Abfrage genau abklopfen soll, steht noch nicht endgültig fest. „Bislang gibt es nur eine Konsultationsfassung der Leitlinien, die sehr granular ist. Was am Ende herauskommt, ist noch nicht absehbar“, heißt es beim GDV.

Kunden stehen drei Kategorien zur Wahl.

Doch die Beratungspflicht kommt mit großen Schritten und die Branche ist gefordert. Ein standardisiertes Abfragetool gibt es bisher nicht, aber bei den Versicherern läuft die Integration der Abfrage in die bestehenden Beratungsprozesse auf Hochtouren. Die Bayerische-Tochter Pangaea Life etwa empfiehlt folgenden Ablauf: Im ersten Schritt ist es sinnvoll, den Kunden über Sinn und Ziel der Abfrage zu informieren. Das kann zum Beispiel mittels eines kleinen Handouts passieren, das auch schon im Vorfeld der Beratung bereitgestellt wird. Im Gespräch ist dann abzufragen, ob der Kunde Nachhaltigkeitspräferenzen in der Produktentscheidung einbeziehen möchte. Falls ja, gibt es grundsätzlich drei Kategorien: erstens die Berücksichtigung von ökologisch nachhaltigen Anlagezielen. Hat der Kunde hier eine Präferenz, könnte noch weiter nach Umweltzielen wie etwa Klimaschutz oder Nutzung von Wasserressourcen differenziert werden. Zweitens: Berücksichtigung von ökologisch nachhaltigen und sozialen Anlagezielen unter Beachtung einer guten Unternehmensführung (ESG). Die dritte Kategorie sollte die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung von Korruption und Bestechung berücksichtigen.

Standards zur ESG-Messung fehlen.

„Insbesondere bei Publikums- und Mischfonds ist der Anteil an nachhaltigen Investments aktuell noch schwierig zu beziffern, da die technischen Regulierungsstandards erst zum 1. Januar 2023 verpflichtend greifen“, sagt Pangaea-Chef Regensburger und spricht damit ein Dilemma an. Denn für ihren jeweiligen Rat haften Versicherer und Vermittler nach den bisher gültigen Maßstäben. Doch mit den technischen Regulierungsstandards (RTS) zur Offenlegungsverordnung fehlen noch ESG-Daten zur Messbarkeit nachhaltigen Wirtschaftens und für die Produktklassifizierung. „Erst hierauf aufbauend, können die dringend notwendigen Informationen – vom Investment bis zum Kunden – berichtet werden“, mahnt GSN-Experte Biskop. Er rät daher zu einer „übervorsichtigen Dokumentation“. Grundsätzlich gilt auch hier das Beratungsprotokoll nach den Paragrafen 6, 61 VVG. Vor allem die „mangelhafte ESG-Informationslage“ führe dazu, „dass momentan nur ein sehr begrenztes Produktangebot existiert, insbesondere für ambitionierte Kunden“, so Biskop. Seine Empfehlung, um Haftungsrisiken aus Fehlberatung zu senken: In der Beratung über die momentanen Umstände, Hindernisse und Hürden aufklären und sie über eine Art Disclaimer dokumentieren.

DIN-Modul für die Abfrage mit Siegel.

Einen normkonformen Fragebogen hat unterdessen das Defino Institut für Finanznorm verabschiedet. Das Modul wurde von Vertretern des DIN-Ausschusses „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“ beim Deutschen Institut für Normung erarbeitet. Es leitet durch die Abfrage und dient zugleich der Dokumentation des Abfrageergebnisses. Der Fragebogen ist mit dem Konformitätssiegel des Instituts und einem rechtswissenschaftlichen Bestätigungsvermerk des Jura-Professors Hans-Peter Schwintowski ausgestattet. Damit stehe ein verlässliches und haftungssicheres Instrument zur Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen zur Verfügung, heißt es bei Defino.

Mit dem Fragebaum durch die nachhaltige Beratungspflicht

Der DIN-Ausschuss „Finanzdienstleistungen für Privathaushalte“ hat das ESG-Abfragemodul entwickelt. Es trägt ein Konformitätssiegel und einen rechtswissenschaftlichen Bestätigungsvermerk. Das Original sieht weitere Erläuterungen etwa zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) oder zur Taxonomie vor. Das nachfolgende Schema zeigt eine idealtypische Fragenabfolge. Die Fragen F4 und F5 sind nicht voneinander zu entkoppeln. Die Fragen F2, F3, F6 und F7 können im Prozess frei positioniert werden.

*Principal Adverse Impacts on Sustainability = nachteilige Auswirkungen auf NachhaltigkeitQuelle: Defino Institut für Finanznorm AG
*Principal Adverse Impacts on Sustainability = nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeit
Quelle: Defino Institut für Finanznorm AG

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