15.10.2024 Branche

R+V-Studie: Das sind die größten Ängste in der Bevölkerung

Steigende Lebenshaltungskosten bereiten auch in diesem Jahr den Menschen die meiste Angst. Das Thema belegt Platz eins der repräsentativen Studie „Die Ängste der Deutschen 2024“, die das Infocenter der R+V Versicherung durchgeführt hat. Dicht dahinter folgt eine gesellschaftspolitische Sorge: 56 Prozent der Befragten befürchten, die Zahl der Geflüchteten könnten die Deutschen und ihre Behörden überfordern.

Welche Sorgen diese junge Frau wohl quälen? Seit 1992 befragt das R+V-Infocenter jährlich in persönlichen Interviews rund 2400 Erwachsene und Jugendliche in Deutschland, wovor sie am meisten Angst haben. (Foto: © fizkes – stock.adobe.com)
Welche Sorgen diese junge Frau wohl quälen? Seit 1992 befragt das R+V-Infocenter jährlich in persönlichen Interviews rund 2400 Erwachsene und Jugendliche in Deutschland, wovor sie am meisten Angst haben.
(Foto: © fizkes – stock.adobe.com)

Trotz weltweiter Krisen hat sich die Stimmung der Deutschen 2024 etwas aufgehellt. Das ergab die 33. Studie „Die Ängste der Deutschen“ der R+V. Für die Langzeiterhebung hat der Versicherer im Sommer 2400 Personen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit befragt. Ein positives Signal: Bei der aktuellen Umfrage fiel der Angstindex, also der durchschnittliche Wert aller gemessenen Ängste, auf 42 Prozent (2023: 45 Prozent). 

Inflationsangst zum dritten Mal in Folge an der Spitze

 

Nach wie vor jedoch blicken die Menschen mit Skepsis auf die aktuelle Entwicklung der Inflation. „Hohe Tarifabschlüsse, Inflationsprämien und spürbar langsamer steigende Preise konnten den Deutschen ihre Sorgen nicht nehmen“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Und so landete die Furcht vor höheren Lebenshaltungskosten mit 57 Prozent auf Platz eins im Ängste-Ranking.

Die Angst vor steigenden Preisen hat damit zum dritten Mal in Folge den traurigen Spitzenplatz inne. „Der Blick in unsere Langzeitstatistik zeigt: Wenn es um den eigenen Geldbeutel geht, reagieren die Deutschen sensibel“, so Brower-Rabinowitsch. Das Thema hat öfter als jede andere Angst die Langzeitstudie dominiert: In den vergangenen drei Jahrzehnten lag sie immerhin 14 Mal auf Platz eins.

Teurer und knapper Wohnraum birgt sozialen Sprengstoff

 

Eine weitere finanzielle Sorge belegt Platz drei der Studie: Mehr als die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) befürchtet, dass Wohnen unbezahlbar wird. „Knapper Wohnraum, hohe Preise und viel Konkurrenz bei der Wohnungssuche – das bleibt eine Mixtur mit sozialem Sprengstoff“, erklärt Professorin Dr. Isabelle Borucki. Die Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin. Nach der Furcht vor unbezahlbarem Wohnraum fragt die R+V seit 2022 – sie landete jedes Jahr auf einem der ersten drei Plätze.

Knapper Wohnraum, hohe Preise und viel Konkurrenz bei der Wohnungssuche – das bleibt eine Mixtur mit sozialem Sprengstoff.

Professorin Isabelle Borucki, Philipps-Universität Marburg

Warum bereiten die finanziellen Themen den Deutschen so große Sorgen? „Die Bevölkerung ist mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenübersteht. Die Wirtschaftslage bleibt angespannt, genauso wie die geopolitische Lage. Auch die Folgen der laufenden Kriege sind nicht absehbar. All das verunsichert die Menschen“, erläutert Borucki. Dieses Ohnmachtsgefühl führe dazu, dass sich der Fokus auf persönliche Belange verschiebe. „Die Menschen sorgen sich um ihre individuelle finanzielle Sicherheit“, so die Professorin.

Entspannung: Niveau bei finanziellen Ängsten sinkt

 

Aber die Studie zeigt auch hier Entspannung: Im Vergleich zum Vorjahr sind die Ängste vor hohen Lebenshaltungskosten und vor teurem Wohnraum um jeweils acht Prozentpunkte gesunken. „Die Menschen haben mehr Geld im Portemonnaie. Das bleibt nicht ohne Wirkung“, so Brower-Rabinowitsch. Ein Rückgang des Angstniveaus lässt sich bei zwei weiteren wirtschaftlichen Themen beobachten, die 2023 weit vorn im Ranking lagen: Sie ist die Sorge, der Staat könne wegen der Schuldenlast die Steuern erhöhen oder Leistungen kürzen, mit 50 Prozent Nennungen auf Platz fünf der Studie zurückgefallen. Im Vorjahr besetzte das Thema mit 57 Prozent noch Platz drei. Vor einer schlechteren Wirtschaftslage fürchten sich aktuell 48 Prozent der Befragten (Platz acht). 2023 belegte diese Furcht mit 51 Prozent noch Platz fünf.

Zuwanderungsthemen gewinnen an Bedeutung

 

Die aufgeheizte Debatte über Migration spiegelt sich auch in den Ängsten der Deutschen wider, denn Zuwanderungsthemen haben an Bedeutung gewonnen: Auf Platz zwei der R+V-Studie rangiert mit 56 Prozent die Sorge, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert. Im Vergleich zu 2023 sind die Migrationssorgen zwar nicht gestiegen, aber im Ranking um zwei Plätze nach oben gewandert. 51 Prozent der Befragten fürchten, dass es durch den weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen innerhalb der Gesellschaft kommt – Platz vier der aktuellen Untersuchung (2023: 47 Prozent, Platz zwölf). 

Interessant auch der Langzeitvergleich: Beide Sorgen liegen deutlich unter dem Höchststand vom Jahr 2016. Damals – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle – fürchteten zwei von drei Befragten, dass der Staat überfordert ist oder es durch weiteren Zuzug aus dem Ausland zu Spannungen kommt. „Das bedeutet aber nicht, dass man die aktuellen Ängste auf die leichte Schulter nehmen darf. Im Gegenteil. Grundlegende Probleme bei der Zuwanderung und Integration wurden lange nicht angegangen – das wurde schlicht verschlafen“, mahnt Professorin Borucki.

Angst vor Extremismus mit stärkstem Anstieg

 

Mit acht Prozentpunkten hat die Angst vor politischem Extremismus in diesem Jahr am stärksten zugenommen. Sie bereitet 46 Prozent der Menschen große Sorgen. Brower-Rabinowitsch erinnert: „Kurz vor der ersten Befragungswelle der Studie war der tödliche Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim.“ Doch welche Art von Extremismus meinen die Befragten? 48 Prozent fürchten sich vor islamistischem Terror, 38 Prozent vor Rechtsextremismus und sieben Prozent vor Linksextremismus. Ebenfalls spürbar gestiegen – um fünf Prozentpunkte – ist die Angst vor Terrorismus. Sie liegt jetzt bei 43 Prozent.

Schlechte Zeugnisse für die Politik

 

Ein knappes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl befürchtet fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent), dass die Politiker und Politikerinnen von ihren Aufgaben überfordert seien – Platz sechs im Ranking. „Diese Unzufriedenheit muss die Politik ernst nehmen“, fordert Borucki. Entsprechend miserabel fallen die Schulnoten für die Politiker und Politikerinnen in Regierung und Opposition aus: 66 Prozent der Befragten vergeben die Note vier oder schlechter. „Ein katastrophales Urteil“, stellt die Wissenschaftlerin fest.

Noch weniger Angst um den eigenen Job hatten die Menschen noch nie in der Geschichte der Studie.

Professorin Isabelle Borucki, Philipps-Universität Marburg

In einem Punkt sind die Deutschen dieses Jahr auffällig entspannt: beim Blick auf den Arbeitsmarkt. Nur knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) fürchtet, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland steigen. Noch geringer ist die Angst der Beschäftigten um ihren eigenen Arbeitsplatz. Sie liegt bei 22 Prozent – und damit auf dem letzten Platz im Ranking. „Das ist eine gute Nachricht. Noch weniger Angst um den eigenen Job hatten die Menschen noch nie in der Geschichte der Studie“, sagt Brower-Rabinowitsch.


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