Zweiter Corona-Lockdown: Depressionen verschlimmern sich massiv
Durch anhaltende Lockdown-Maßnahmen verschlechtert sich bei fast der Hälfte der Patienten die Depression bis hin zu Suizidversuchen, warnt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und beklagt den verengten Blick der Politik. Auch die Allgemeinbevölkerung ist so belastet wie nie zuvor in der Pandemie.
Der zweite Lockdown in der Corona-Pandemie belastet viele Menschen seelisch massiv. Das betrifft sowohl die Allgemeinbevölkerung als auch Menschen mit einer bereits diagnostizierten psychischen Erkrankung. Das zeigt eine repräsentative Sondererhebung des „Deutschland-Barometer Depression” der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Deutsche Bahn Stiftung. Mehr als 5000 Personen zwischen 18 und 69 Jahren wurden hierfür im Februar 2021 befragt.
Danach berichten 44 Prozent der Befragten mit diagnostizierter Depression, dass sich coronabedingt ihre Erkrankung in den letzten sechs Monaten verschlechtert habe. Jeweils 16 Prozent dieser Gruppe berichten von einem Rückfall oder einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik. Acht Prozent hatten Suizidgedanken oder suizidale Impulse. Unter den Befragten mit diagnostizierter oder selbst-diagnostizierter Depression berichten sogar 13 Personen, im letzten halben Jahr einen Suizidversuch unternommen zu haben. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung würde das allein für diese Gruppe Betroffener etwa 140.000 Suizidversuche innerhalb eines halben Jahres ergeben.
„Die Zahl der Suizidversuche bereitet mir Sorge”
„Die Maßnahmen gegen Corona führen zu Versorgungsdefiziten und depressions-spezifischen Belastungen, die gravierende gesundheitliche Nachteile für die 5,3 Millionen Menschen mit Depression in Deutschland bedeuten”, sagt Prof. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Besonders die Zahl der Suizidversuche bereite ihm Sorge. Es sei dringend notwendig, bei der Entscheidung über Maßnahmen gegen Corona den Blick nicht nur auf das Infektionsgeschehen zu verengen. „Es müssen auch Leid und Tod systematisch erfasst werden, die durch die Maßnahmen verursacht werden”, fordert Hegerl.
Im Rahmen der Erhebung wurde auch die Versorgungslage psychisch erkrankter Menschen im Detail untersucht: So berichten 22 Prozent der Befragten in einer depressiven Phase von ausgefallenen Facharzt-Terminen in der Zeit von September bis Februar, bei 18 Prozent fiel ein Termin beim Psychotherapeuten aus. 21 Prozent der Betroffenen geben an, von sich aus Behandlungstermine aus Angst vor Ansteckung abgesagt zu haben. Im ersten Lockdown waren es nur 13 Prozent.
Es fehlen zunehmend soziale Kontakte
Besonders belastend für Menschen in einer depressiven Phase: Mit 89 Prozent leiden fast alle unter fehlenden sozialen Kontakten, im ersten Lockdown waren es 74 Prozent. 87 Prozent gaben Bewegungsmangel (zuvor 80 Prozent) und 64 Prozent verlängerte Bettzeiten an (55 Prozent). „Für Depressionspatienten sind Bewegung, ein geregelter Tagesablauf und ein fester Schlaf-Wachrhythmus wichtige unterstützende Bausteine in der Behandlung. Wenn diese wegbrechen, kann das den Krankheitsverlauf der Depression negativ beeinflussen”, erläutert Hegerl.
Auch für die Allgemeinbevölkerung ohne psychische Erkrankung sei die Situation aktuell deutlich belastender als im ersten Shutdown. Laut Umfrage empfinden 71 Prozent der Bundesbürger die aktuelle Situation bedrückender. Im ersten Lockdown waren es 59 Prozent, im Sommer 2020 sogar nur 36 Prozent. Fast die Hälfte (46 Prozent) der Deutschen erlebt seine Mitmenschen als inzwischen als rücksichtsloser (zuvor: 40 Prozent). Jeder Dritte hat Sorgen um seine berufliche Zukunft. Familiär stark belastet fühlten sich im Februar 25 Prozent der Befragten, im Sommer 2020 waren es nur 16 Prozent.