Betriebsschließungen: Haftpflichtkasse verurteilt, Allianz einigt sich außergerichtlich
Im Streit um Entschädigungen nach coronabedingten Betriebsschließungen kassiert nun auch die Haftpflichtkasse wegen intransparenter Vertragsbedingungen eine Niederlage vor dem Münchner Landgericht. Die Allianz vermeidet ein Urteil und schließt einen Vergleich.
Im Streit um Entschädigungszahlungen aus der Betriebsschließungsversicherung rollt derzeit eine Klagewelle durchs Land. Dabei häufen sich die Erfolgsmeldungen für die durch coronabedingte Schließungen im Frühjahr 2020 besonders gebeutelte Gastronomie. Am Donnerstag, den 22. Oktober verurteilte das Landgericht München I die Haftpflichtkasse zu einer Zahlung von mehr als 427.000 Euro an die Betreiberin eines Ausfluglokals in München (Az. 12 O 5868/20). In einem ähnlich gelagerten Fall hatte sich der Wirt des Münchner Augustinerkellers gegen die Versicherungskammer Bayern (VKB) durchgesetzt. Die VKB überlegt noch, ob sie dagegen Berufung einlegt. Auch die Haftpflichtkasse will das Urteil zunächst prüfen und möglicherweise in die nächste Instanz gehen.
Richter bemängeln intransparente Versicherungsbedingungen
Die Urteilsbegründung im Fall der Haftpflichtkasse ähnelt der im VKB-Fall. Die Richter bewerteten die im Frühjahr erlassene Allgemeinverfügung mit Bezug auf das Infektionsschutzgesetz als hinreichend für den Eintritt des Versicherungsfalls. Es sei nicht entscheidend, ob das Coronavirus direkt im Betrieb des Klägers aufgetreten ist. Eine Schließung durch behördliche Einzelanordnung, wie nun auch die Haftpflichtkasse argumentierte, sei angesichts der Versicherungsbedingungen nicht erforderlich gewesen.
Zum Verhängnis wurde dem Versicherer aus Roßdorf bei Darmstadt eine Vertragsklausel, die sich aus Sicht der Richter als intransparent erwies. In den Versicherungsbedingungen heißt es: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.“ Laut Gericht muss eine beabsichtigte Einschränkung des Versicherungsschutzes für den Versicherungsnehmer klar erkennbar sein. Sie hätte durch Begriffe wie „nur die folgenden“ oder „diese Auflistung ist abschließend“ deutlich gemacht werden müssen. Das sei hier aber nicht passiert.
Allianz einigt sich außergerichtlich
In einem ähnlich gelagerten Fall hatte die Allianz am Vortag eine drohende Niederlage vor dem Landgericht München I in letzter Minute mit einem außergerichtlichen Vergleich abgewendet. Der Wirt des Gasthauses und Biergartens am Münchner Nockherberg, Christian Schottenhamel, hatte 1,13 Millionen Euro aus seiner Betriebsschließungsversicherung bei der Allianz für die pandemiebedingten Umsatzausfälle im Frühjahr gefordert. Damals musste er seinen Betrieb auf Basis einer Allgemeinverfügung wochenlang schließen. Die zuständige Richterin Susanne Laufenberg hatte im Verlauf des Verfahrens bereits deutlich gemacht, dass sie die Argumentation des Versicherers nicht für schlüssig hält. Beide Parteien haben Stillschweigen über die Höhe des Vergleichs vereinbart.
Der Branchenprimus bleibt unterdessen bei seiner Rechtsauffassung, dass eine Allgemeinverfügung keine Leistungen aus der Betriebsschließungsvereinbarung begründet. „Wir werden uns weiterhin jeden Fall individuell anschauen", kündigt Allianz-Sprecher Christian Weishuber gegenüber dem Versicherungsprofi an. Eine Signalwirkung für zukünftige Fälle sieht Weishuber im jüngsten Vergleich nicht. 76 Prozent der Kunden hätten die von der Allianz bundesweit angebotenen 15 Prozent Entschädigung aus dem sogenannten Bayern-Kompromiss angenommen, so der Sprecher. Allerdings sind allein gegen den Marktführer derzeit über 100 Klagen anhängig. Unter den Klägern ist auch die Eigentümerin des Münchner Luxushotels „Bayerischer Hof“. Sie fordert nach Angaben des Gerichts 6,2 Millionen Euro von dem Versicherer. Aufgrund des Vorbilds Nockherberg dürften etwaige Einigungen für die Allianz nun in jedem Fall teurer werden.
Rechtsexperte bedauert fehlendes Urteil
Die Branche spielt angesichts von Sperrstunden, Beherbergungsverboten und eines drohenden erneuten Lockdowns offenbar auf Zeit. Für Rechtsanwalt Norman Wirth ist es im Fall der Allianz jedenfalls „sehr ärgerlich, dass wir kein Urteil haben, auch wenn der Vergleich sicher zu deren Lasten ausgefallen ist“. Der Versicherer habe eine gerichtliche Entscheidung auf jeden Fall verhindern wollen und wird dies nach seiner Auffassung auch in Zukunft tun. Die von den Anbietern gern ins Feld geführten für sie positiven Urteile (OLG Hamm, LG Bochum) seien jedenfalls keine Referenz, da die Vertragsbedingungen hier anders aussahen als in den Münchner Fällen und eben nicht als intransparent bewertet wurden. Die Aussage, dass Gerichte bisher höchst unterschiedlich geurteilt hätten und die Allianz deshalb auch auf positive Urteile hoffen könne, sei daher reine Politik. „In der Masse der Fälle sind die Bedingungen so, dass sicherlich eine Leistungspflicht besteht“, so Wirth.