BGH: Kaskoversicherung ist nicht zur Schadenminderung da
Unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter sich auch an seinen Kaskoversicherer wenden sollte und wann er das nicht braucht, ist für ihn nicht immer eindeutig. Der BGH hat nun einen konkreten Fall entschieden und das Urteil der Vorinstanzen aufgehoben.
Nach einem Verkehrsunfall kann sich die Regulierung des entstandenen Schadens hinziehen. Haftpflichtversicherern wird eine mehrwöchige Frist zur Prüfung des Schadenfalls zugestanden, bevor eine Aussage zur Haftung folgt. Darüber berichtet die Kanzlei Voigt Rechtsanwalts GmbH. Demnach stellt sich für den Geschädigten, der in dieser Zeit auf sein Fahrzeug verzichten muss, dann die Frage, ob er seinen Kaskoversicherer heranziehen muss, um den Fahrzeugausfall möglichst kurz zu halten. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte dazu in einem kürzlich veröffentlichten Urteil klar: Grundsätzlich besteht keine Pflicht, den Kaskoversicherer einzuschalten – doch keine Regel ohne Ausnahme (Az. VI ZR 569/19).
Streit über Dauer des Nutzungsausfalls
Bei einem Unfall wurde der Wagen einer Fahrzeughalterin beschädigt. Der Unfallgegner hatte den Unfall alleine verschuldet, sodass sein Haftpflichtversicherer zur Regulierung des entstandenen Schadens verpflichtet war. Die geschädigte Fahrzeughalterin ließ ein Sachverständigengutachten erstellen und wandte sich damit an den Haftpflichtversicherer. Sie wies den Versicherer auch darauf hin, dass sie finanziell nicht in der Lage sei, die Reparatur vorzufinanzieren. Am selben Tag wandte sich die Geschädigte an ihren eigenen Kaskoversicherer mit der Bitte, den Schaden zu regulieren und erteilte 14 Tage später den Reparaturauftrag. Der Haftpflichtversicherer wiederum regulierte lediglich 15 Tage an Nutzungsausfall – statt des gesamten Zeitraums von 42 Tagen. Weil der Haftpflichtversicherer nicht bereit war, den Nutzungsausfall für die ausstehenden 27 Tage zu je 43 Euro zu begleichen, zog die Geschädigte vor Gericht.
Kaskoversicherung hätte in Anspruch genommen werden müssen
Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Az. 101 C 3253/17) wies die Klage der Geschädigten ab. Auch die Berufung vor dem Landgericht Berlin (Az. 45 S 27/19) wurde zurückgewiesen. Der Auffassung des Landgerichts nach hätte die Geschädigte ihren Kaskoversicherer in Anspruch nehmen müssen als das Gutachten erstellt war, statt abzuwarten, ob der Haftpflichtversicherer seiner Regulierungspflicht in einer angemessenen Frist nachkommt. Durch diese Vorgehensweise habe die Klägerin die Reparatur verzögert und gegen ihre Verpflichtung nach § 254 Abs. 2 BGB verstoßen, wonach der zu ersetzende Schaden möglichst gering zu halten ist. Laut der Richter steht es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls nicht frei, von einer Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung abzusehen. Die Geschädigte war damit nicht zufrieden und ging in Revision.
BGH hebt Urteil der Vorinstanzen auf
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf. Die Klägerin sei nicht gehalten gewesen sei, ihren eigenen Kaskoversicherer zur zeitnahen Behebung des Unfallschadens einzuschalten. Sinn und Zweck einer Kaskoversicherung sei nicht, den Schädiger zu entlasten, sondern die Kosten abzudecken, für die sonst der Eigentümer selbst aufkommen müsse. Die höheren Beiträge bei Nutzung der Kaskoversicherung und die komplizierte Abrechnung dieser neuen Schadenposition würden die Inanspruchnahme unzumutbar machen. Ein Geschädigter könne dann zur Inanspruchnahme des Kaskoversicherers verpflichtet sein, wenn von Anfang an absehbar ist, „dass er einen erheblichen Teil seines Schadens selbst tragen muss und dass die Aufwendungen hierfür den Schaden, der ihm durch den Verlust des Schadensfreiheitsrabatts entstehen könnte, absehbar deutlich übersteigen“. Das war laut BGH hier jedoch gerade nicht der Fall. Die alleinige Haftung des Unfallgegners und die Einstandspflicht des Versicherers war für die Bundesrichter eindeutig. Das Urteil des Landgerichts wurde demnach aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.