BU: Versicherer müssen nicht wegen Chancen und Erwartungen zahlen
Urteile: Personen, die in ihrem alten Beruf nicht mehr arbeiten können, haben keinen Leistungsanspruch nur aufgrund des vermeintlich höheren sozialen Prestiges und einer besseren Einkommensprognose ihres alten Jobs im Vergleich zum neuen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat zur Leistungspflicht einer Berufsunfähigkeitsversicherung in zwei Fällen entschieden, dass nach einem Jobwechsel infolge einer Berufsunfähigkeit mögliche Chancen und Erwartungen des Versicherten auf einen beruflichen Aufstieg im alten Beruf nicht gedeckt sind. Die Urteile zeigen, wie ein Gericht die Themen Verweispflicht und sozialer Status von Berufen bewertet. Das ist in Berufsunfähigkeitsprozessen immer wieder der entscheidende Punkt bei der Beurteilung der Leistungspflicht. Zahlen muss der Policengeber nämlich nur dann, wenn der Versicherte keine vergleichbare Tätigkeit ausüben kann, die seiner Ausbildung, den Fähigkeiten und der bisherigen Lebensstellung entspricht. Ob der tatsächlich ausgeübte neue Job im Vergleich zum alten aber so einzuordnen ist, ist häufig strittig.
In den beiden konkreten Fällen (Az. 1 U 14/20, 1 U 15/20) konnten zwei Handwerker ihren alten Beruf nicht mehr ausüben. Nach der folgenden Umschulung pendelte sich der Verdienst wieder um das alte Gehaltslevel ein. Die Versicherer stellten daraufhin offenbar die Zahlung ein und sahen sich mit Klagen ihrer Kunden konfrontiert.
Spielt das Prestige und die Gehaltsentwicklung im alten Job eine Rolle?
Im ersten Fall konnte der Kläger nicht mehr als Heizungsmonteur tätig sein. Er schulte zum technischen Zeichner um und verdiente letztlich so viel wie zuvor. Er machte indes geltend, die beiden Berufe seien nicht vergleichbar, weil der Beruf des Heizungsmonteurs – gerade im ländlichen Raum – ein höheres Sozialprestige habe. Außerdem habe sich seit seinem Unfall das Gehaltsniveau im Handwerk besonders positiv entwickelt. Er hätte daher mittlerweile in seinem alten Beruf viel mehr verdienen können als jetzt in dem neuen Beruf. In dem anderen Fall argumentierte ein ehemaliger Estrichleger ähnlich. Er hatte eine Umschulung zum Großhandelskaufmann gemacht. Als kaufmännischer Angestellter verdiente er jetzt geringfügig weniger als zuvor. Er gab an, als Estrichleger hätte er mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, später einen Meistertitel erworben und ein Firmenfahrzeug erhalten.
OLG gibt in beiden Fällen der Versicherung Recht
Nach Auffassung des OLG Oldenburg ist die Behauptung der Kläger, Handwerk habe ein höheres Sozialprestige als die jetzt von den Klägern ausgeübten Berufe, durch nichts belegt. Die Argumentation, die Gehälter im Handwerk hätten sich nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verbessert oder der Versicherte hätte mit einem Aufstieg rechnen können, sei nicht relevant. Entscheidend sei die Lebensstellung des Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles, nicht aber Chancen und Erwartungen. Der Versicherte könne also nicht argumentieren, nach Eintritt des Versicherungsfalles hätte er im alten Beruf eine positive Lohnentwicklung mitgemacht. Die Versicherungen hätten daher ihre Leistungen zu Recht einstellen dürfen.