01.10.2020 Recht | Ratgeber

Corona-Urteil zur Betriebs­schließung: Gastwirt erstreitet eine Million

Ein aktuelles Urteil des Landgerichts München gegen die Versicherungskammer Bayern könnte der Auftakt einer Niederlagenserie deutscher Versicherer vor Gericht sein. Die Versicherung will Berufung einlegen.

Im Frühjahr waren Biergärten wegen Corona landesweit wochenlang geschlossen. Viele Wirte hoffen jetzt, auf dem Klageweg Ansprüche gegen ihre Betriebsschießungsversicherer durchzusetzen. (Foto: © Andrea Schwingel – stock.adobe.com)
Im Frühjahr waren Biergärten wegen Corona landesweit wochenlang geschlossen. Viele Wirte hoffen jetzt, auf dem Klageweg Ansprüche gegen ihre Betriebsschießungsversicherer durchzusetzen.
(Foto: © Andrea Schwingel – stock.adobe.com)

Urteil mit Signalwirkung.

Es ist ein echter Paukenschlag: Das Münchener Landgericht hat erstmals einem klagenden Gastwirt die geforderte Millionensumme aus der Betriebsschießungsversicherung zugesprochen. Laut Urteil muss die beklagte Versicherungskammer Bayern wegen der coronabedingten Schließung im Frühjahr 2020 an den Pächter des Münchner Augustinerkellers Christian Vogler 1,01 Millionen Euro zahlen.

Streitpunkt war – wie in vielen anderen Fällen – die Auslegung der Versicherungsbedingungen. Darin sind behördlich angeordnete Schließungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zwar gedeckt, der Covid-19-Erreger wird jedoch nicht genannt. Mit Verweis auf genau diesen Punkt verweigerte die Versicherungskammer die Zahlung an ihren Kunden. Laut Landgericht München zu Unrecht, da die Versicherungskammer sich nicht darauf berufen kann, dass die Corona-Pandemie nicht mitversichert gewesen ist. Zumal Vogler den Vertrag erst Anfang März – wenige Wochen vor den Zwangsschließungen – abgeschlossen habe. Die Versicherungsbedingungen seien intransparent, sagte Richterin Susanne Laufenberg. Man könne von einem Versicherungsnehmer nicht erwarten, dass ihm das Infektionsschutzgesetz geläufig sei.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Az. 12 O 5895/20). Die Versicherungskammer Bayern reagierte prompt und kündigte an, nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung in Berufung zu gehen. Man könne die Auffassung des Gerichts nicht teilen. Unternehmenssprecherin Claudia Scheerer: „Urteile, die in den vergangenen Wochen in Deutschland zur BSV ergangen sind, zeigen starke Unterschiede in der Rechtsauffassung der jeweiligen Gerichte und Instanzen. Aus dem heutigen erstinstanzlichen Urteil können keine abschließenden und allgemeinen Schlussfolgerungen gezogen werden, da jeder Einzelfall individuell zu bewerten ist.“

Seit Anfang März dieses Jahres verzeichnet das Gastgewerbe massive Umsatzeinbrüche. Am höchsten waren sie während des Shutdown im April und Mai. Für das Gesamtjahr rechnen die Wirte mit 50 Prozent Minus. (DEHOGA-Umfrage: 1. bis 6. September 2020, 5600 Teilnehmer, Quelle: DEHOGA Bundesverband)
Seit Anfang März dieses Jahres verzeichnet das Gastgewerbe massive Umsatzeinbrüche. Am höchsten waren sie während des Shutdown im April und Mai. Für das Gesamtjahr rechnen die Wirte mit 50 Prozent Minus. (DEHOGA-Umfrage: 1. bis 6. September 2020, 5600 Teilnehmer, Quelle: DEHOGA Bundesverband)

Gute Erfolgschancen für klagende Betriebe.

Ob die Einschätzung der Versicherungskammer sich bewahrheitet, wird vermutlich schon in den kommenden Wochen klar. Allein beim Landgericht München sind 72 ähnliche Klagen anhängig, bundesweit klagen Tausende Betriebe wegen nicht zahlender Betriebsschließungsversicherungen. Nach dem Lockdown und den enormen Umsatzeinbußen, von denen vor allem Hotel- und Gastronomiebetreiber betroffen waren, entbrannte ein heftiger Streit zwischen Versicherern und Kunden, die sich nicht mit der Leistungsverweigerung abfinden oder dem eilig getroffenen „Bayern-Kompromiss“ abspeisen lassen wollten.

Vieles spricht nun dafür, dass ausstehende Urteile gegen den jeweiligen Versicherer ausfallen werden. Schon Mitte September hatte das Münchener Landgericht bei einer mündlichen Verhandlung durchblicken lassen, dass die Betriebsschließungsversicherung der Allianz möglicherweise für die behördlich angeordnete Schließung von Gaststätten im Frühjahr zahlen muss, auch wenn der Covid-19-Erreger in den entsprechenden Policen nicht explizit genannt ist. „Wir sehen im vorliegenden Fall nichts, was dem Anspruch der Klägerin entgegensteht“, hatte die Vorsitzende Richterin Susanne Laufenberg die drohende Niederlage des Versicherungsriesen durchblicken lassen. Kläger sind die Paulaner-Wirte vom Nockherberg in München. Ihre Forderung: 1,1 Millionen Euro als Ausgleich für sechs Wochen Umsatzausfall auf Basis des vertraglich vereinbarten Tagessatzes.

Auch Rechtsexperten bestätigen die guten Erfolgschancen. „Ich erwarte, dass über die Münchener Fälle hinaus eine Vielzahl von Urteilen gegen die Versicherer gefällt werden. Ob im Rahmen der Betriebsschließungsversicherungen gezahlt werden muss, wird wohl - außer bei einigen speziellen Bedingungswerken - nicht mehr lange diskutiert werden“, ist Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte sicher.

Foto: Wirth-Rechtsanwälte

Ich erwarte, dass über die Münchener Fälle hinaus eine Vielzahl von Urteilen gegen die Versicherer gefällt werden.

Norman Wirth, Rechtsanwalt

Andere Sichtweise.

„Es stimmt nicht, dass wir grundsätzlich aus der Betriebsschließungsversicherung nicht leisten“, wehrt Allianz-Sprecher Christian Weishuber gegenüber FOCUS-MONEY-Versicherungsprofi Kritik an der Regulierungspraxis seines Unternehmens ab. Es komme immer auf die Vertragsgestaltung an, so Weishuber. Der Versicherungsschutz umfasst laut dem Marktführer nur Krankheiten und Krankheitserreger, die ausdrücklich und abschließend in den Bedingungen benannt sind. Für Covid-19 sei das nicht der Fall. „Des Weiteren erfolgte die Schließung der Betriebe aus generalpräventiven Gründen und nicht, weil von ihnen eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht“, argumentiert der Sprecher.

Die Allianz hält sich an den „Bayern-Kompromiss“ und zahlt ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht 15 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung für maximal 30 Tage. Bundesweit haben über 75 Prozent das Angebot angenommen, was den Versicherer einen „höheren zweistelligen Millionenbetrag“ kostet. Außerdem weist die Allianz darauf hin, die Regelung analog bei Kunden aus anderen Wirtschaftsbereichen anzuwenden. Insgesamt kalkuliere der Konzern mit Zahlungen für Betriebsunterbrechungen wegen Covid-19 von über 100 Millionen Euro.

Freiwillige Leistungen.

Dass es auch anders geht, zeigen Versicherer wie der Münchener Verein, HDI und Signal Iduna. „Die HDI Versicherung hat nach dem Eintreffen der ersten Schadenmeldungen zu Betriebsschließungen beschlossen, dass sie zu ihrem Wort steht und leistet, obwohl die in Teilen nicht eindeutig formulierten BSV-Bedingungen auch einen anderen Weg zugelassen hätten“, erläutert Kommunikationsleiter Andreas Krosta. Der Versicherer hat das Coronavirus mit den im Infektionsschutzgesetz aufgeführten Erregern gleichgestellt. Auch der Münchener Verein stellt das Coronavirus den in seiner BSV namentlich genannten Erregern gleich. „Wir haben die teilweise sechsstelligen Summen unbürokratisch und schnell bereits ausgezahlt und so einen aktiven Beitrag zur Rettung von Existenzen im Handwerk geleistet“, informiert Sprecher Johannes Schuster.

Prozesse vermeiden.

Zu unbürokratischer, schneller Hilfe hat sich auch die Signal Iduna entschieden. „Rund 4100 Betriebe haben im Rahmen ihrer gewerblichen Sachversicherung die Betriebsschließung als zusätzliches Risiko bei uns versichert. Wir haben bereits 90 Prozent aller Schäden reguliert“, sagt Ulrich Leitermann, Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna. Die Dortmunder rechnen mit Schadenzahlungen im mittleren zweistelligen Millionenbereich – bei einer jährlichen Prämieneinnahme aus der BSV von unter einer halben Million Euro. „Trotz dieses Missverhältnisses lassen wir keinen einzigen Kunden im Regen stehen“, betont Leitermann. Bei jedem Kunden sei „die Deckung in seinem jeweiligen Einzelfall geprüft und im Dialog mit ihm entsprechend reguliert“ worden. „Wir wollen kein Geld für Prozesskosten ausgeben. Jeder Euro soll möglichst unseren Kunden zugutekommen.“

 


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