Ist bald „jeder“ ein Versicherungsvermittler?
Der Europäische Gerichtshof will, dass Firmen und Vereine, die Gruppenversicherungen etwa für Mitarbeiter oder Mitglieder abschließen, künftig als Vermittler eingestuft werden.
Die Rechtslage.
Die Gruppenversicherung ist eine in Deutschland recht verbreitete Versicherungsart. Dabei schließt ein Unternehmen oder ein Verein einen Rahmenvertrag mit einem Versicherer ab und bietet Mitarbeitern, Kunden oder Mitgliedern an, ihm beizutreten. Dadurch lassen sich Sonderbedingungen oder Rabatte erzielen. Typische Beispiele sind Krankenzusatzversicherungen über Arbeitgeber oder Unfallversicherungen in Sportvereinen.
Das Urteil.
Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem aktuellen Urteil (Az. C 633/20) entschieden, dass die sogenannte Gruppenspitze, also das Unternehmen oder der Verein, unter bestimmten Voraussetzungen als Versicherungsvermittler zu betrachten ist. Denn laut EuGH stellt ein entgeltliches Angebot zum Beitritt in eine Gruppenversicherung eine Versicherungsvermittlung bzw. einen Versicherungsvertrieb dar.
Die Folgen.
Das Urteil könnte weitreichende Konsequenzen haben. Denn die „vermittelnden“ Unternehmen und Vereine fallen damit unter die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD). Sie müssen folglich bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer eine Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung einholen und sich dort registrieren lassen. Außerdem brauchen sie einen Sachkundenachweis und eine Haftpflichtpolice gegen Schadenersatzforderungen nach möglichen Beratungsfehlern. Zudem müssen sie umfangreiche Informations- und Beratungspflichten erfüllen und sich regelmäßig fortbilden – gerade für Vereine oder kleinere Unternehmen womöglich unzumutbar hohe Hürden. Immerhin: Das Urteil bezieht sich offenbar nur auf Unternehmen und Vereine, die ihren Mitarbeitern oder Mitgliedern einen freiwilligen Beitritt anbieten, für den diese dann auch die Prämie bezahlen. Ein Arbeitgeber, der seinen Angestellten eine Police quasi als Gehaltsextra anbietetund sie auch bezahlt, wäre demnach nicht betroffen. Das gilt auch für Vereine, bei denen Mitglieder verpflichtet sind, der Gruppenunfallpolice beizutreten. Soweit es um die kostenfreie Aufnahme der eigenen Mitarbeiter in einen Gruppenvertrag zur betrieblichen Unfall-, Kranken- oder Risikolebensversicherung geht, könnten also die Unternehmen durch das EuGH-Urteil weniger stark betroffen sein.
Die Aussichten.
Anders sieht das womöglich bei Geschäften mit Verbrauchern aus. Elektronikversicherung beim Handykauf, Glasbruchversicherung beim Optiker, Insassenschutz beim Autovermieter oder Reiseversicherung bei der Flugbuchung: Viele dieser Angebote sind als Gruppenversicherungen organisiert – da dürfte die BaFin demnächst bei den Versicherern nachhorchen, ob ihre Partner auch über eine Vermittlererlaubnis verfügen.