Exklusiv 30.08.2021 Sparten/Produkte

Schutz vor Berufs­un­fähigkeit: Generation Z sollte früh starten

Berufsunfähigkeit bleibt für die Deutschen eine der größten finanziellen Gefahren. Das belegen neue Untersuchungen der Deutschen Aktuarvereinigung. Die Mehrheit unterschätzt dieses Risiko jedoch leider noch immer, warnt der neue DAV-Vorstandsvorsitzende Dr. Herbert Schneidemann in seinem Gastbeitrag.

Auch mit Vollzeitjob lastet die Familienarbeit immer noch hauptsächlich auf den Schultern der Frauen – mit fatalen Folgen für die Arbeitskraft: Vor allem wegen seelischer Leiden ist ihr BU-Risiko in den vergangenen 20 Jahren massiv gestiegen. (Foto: © Konstantin Yuganov - stock.adobe.com)
Auch mit Vollzeitjob lastet die Familienarbeit immer noch hauptsächlich auf den Schultern der Frauen – mit fatalen Folgen für die Arbeitskraft: Vor allem wegen seelischer Leiden ist ihr BU-Risiko in den vergangenen 20 Jahren massiv gestiegen.
(Foto: © Konstantin Yuganov - stock.adobe.com)

Laut des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft gab es 2019 knapp 17 Millionen privat abgeschlossene BU-Verträge. Damit ist etwa ein Drittel der insgesamt rund 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland gegen Berufsunfähigkeit abgesichert, je nachdem wie viele Versicherte mehr als einen Vertrag abgeschlossen haben. Eine Quote, die mit Blick auf die DAV-Analysen und die staatlichen Unterstützungsleistungen im Falle einer Berufsunfähigkeit durchaus Sorgen bereitet.

Es gibt (fast) keinen staatlichen BU-Schutz mehr

 

Nach unseren Erhebungen werden bis zum Renteneintritt rund 25 Prozent der Erwerbstätigen mindestens einmal im Arbeitsleben berufsunfähig. Doch seit der Gesetzesnovelle zum 1. Januar 2001 gibt es den staatlichen BU-Schutz nur noch für Personen, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden. Eine private BU-Absicherung ist heute somit besonders wichtig. Sie greift, wenn dem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgegangen werden kann. Im Gegensatz dazu schützt die gesetzliche Erwerbsminderungsrente nur vor dem Risiko, alle existierenden Berufe nicht mehr ausüben zu können. Einen Anspruch auf diese Zahlungen haben aber nur Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung mit mindestens fünf Jahren Beitragszeit. Kurzum: Eine Erwerbsunfähigkeit muss nicht notwendigerweise vorliegen, wenn dem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgegangen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, ist daher höher als die Wahrscheinlichkeit, erwerbsunfähig zu werden.

Das Risiko für junge Frauen ist deutlich gewachsen

 

Und die BU-Gefahr hat in den vergangenen 20 Jahren teilweise erheblich zugenommen. So haben Frauen bis zu ihrem 40. Geburtstag im Vergleich zur vorangegangen DAV-Untersuchung Ende der 1990er-Jahre ein um mehr als 30 Prozent erhöhtes BU-Risiko. Insbesondere sind in dieser Versichertengruppe laut Daten der Rentenversicherung erheblich mehr Versicherungsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen festzustellen. Bei Männern gibt es hingegen in dieser Altersgruppe keine signifikanten Veränderungen.

Erfreulich ist die Entwicklung sowohl bei Männern als auch bei Frauen über 40 Jahre. Hier sank die Wahrscheinlichkeit, berufsunfähig zu werden, bei weiblichen Versicherten um 36 Prozent und bei männlichen um etwa 45 Prozent. In diesen Entwicklungen spiegelt sich die Veränderung der Arbeitswelt wider. Zum einen sind immer weniger Personen in körperlich anstrengenden Berufen tätig und zum anderen sinken generell die körperlichen Anforderungen in vielen Berufen. Dieser positive Trend überkompensiert den auch in dieser Altersklasse zu beobachtenden Anstieg der Schadenfälle durch psychische Erkrankungen.

Mehr psychische Leiden durch Doppelbelastung?

 

Wir werden regelmäßig gefragt, warum die Zahl der Berufsunfähigkeiten bei Frauen aufgrund psychischer Beschwerden so stark gestiegen ist. Unsere eigenen Daten geben darauf keine Antworten, sodass wir nur spekulieren können. Ein Grund könnte die zunehmende Doppelbelastung durch Job und Familie sein. Laut Destatis ist die Erwerbstätigenquote von Frauen zwischen 2000 und 2019 von 57,7 auf 72,8 Prozent gestiegen – während sie sich bei Männern „nur“ etwa halb so stark erhöht hat. Zugleich verzeichnete Deutschland in dieser Zeit einen leichten Anstieg der Geburtenraten. Und viele Studien zeigen, dass erwerbstätige Frauen noch immer mehr im Haushalt leisten und sich länger um die Kinder kümmern als ihre ebenfalls berufstätigen Partner.

Foto: DAV

Die BU-Gefahr hat in den vergangenen 20 Jahren teilweise erheblich zugenommen. So haben Frauen bis zu ihrem 40. Geburtstag ein um mehr als 30 Prozent erhöhtes Risiko.

Dr. Herbert Schneidemann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung e.V.

Eindrucksvoll belegt das unter anderem eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2016. Auf Basis von Daten der Langzeitstudie Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) fand das DIW seinerzeit heraus, dass sich vollzeiterwerbstätige Frauen in sogenannten Doppelverdiensthaushalten im Jahr 2014 an einem Werktag gut eineinhalb Stunden um den Haushalt und fast fünf Stunden um die Betreuung der Kinder kümmerten. Vollzeiterwerbstätige Männer investierten im Durchschnitt gut eine Stunde beziehungsweise rund zweieinhalb Stunden in diese Aufgaben. Frauen wendeten somit durchschnittlich gut drei Stunden mehr Zeit für die Hausarbeit und Kinderbetreuung auf. Immerhin beteiligten sich nach DIW-Daten deutlich mehr Männer als zehn Jahre zuvor an der Kinderbetreuung und dem Haushaltsmanagement.

Rückschritt und extremer Stress durch Corona

 

Nicht wenige gehen aber davon aus, dass dieser positive gesellschaftliche Trend durch die Coronapandemie (zumindest teilweise) wieder zurückgedreht wurde. Erste Befunde würden auf eine „Retraditionalisierung des Geschlechterverhältnisses hindeuten“, wie Prof. Dr. Heike Ohlbrecht von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Februar 2021 dem MDR erklärte. Für Frauen sei das, was wir Doppelbelastung nennen, ganz stark zu verzeichnen, erläuterte die Soziologin mit Blick auf Homeschooling, Haushalt und Karriere. Welche Auswirkungen diese extreme Stressphase auf die Berufsunfähigkeitsquoten hat, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen

Lebensarbeitszeit verlängert sich

 

Grundsätzlich wird die BU-Gefahr allein schon dadurch größer, dass sich die Lebensarbeitszeit verlängert: Aufgrund der Verkürzung der Schulzeit von 13 auf zwölf Jahre bis zum Abitur und der Einführung der Bachelorstudiengänge treten mehr Menschen als vor 20 Jahren nach einem Hochschulstudium bereits mit Anfang 20 in das Berufsleben ein. Während 2003 das Durchschnittsalter der Absolventinnen und Absolventen nach dem Erststudium laut Statista bei 27,9 Jahren lag, waren es 2019 nur noch 23,6 Jahre. Außerdem steigt das gesetzliche Renteneintrittsalter kontinuierlich an und liegt ab 2031 bei 67 Jahren, wodurch sich die Spanne vergrößert, in der eine Berufsunfähigkeit auftreten kann.

Absicherung nicht auf die lange Bank schieben

 

All dies zeigt, dass die Berufsunfähigkeit ein vielfach unterschätztes Risiko ist, das auch in Zeiten der Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse nicht geringer wird. Doch ohne eine entsprechende Absicherung bedeutet der Verlust der eigenen Arbeitskraft für die meisten kaum zu kompensierende Einschnitte im Haushaltseinkommen. Für Alleinverdienende oder Singles kann eine Berufsunfähigkeit sogar im Ruin enden. Von daher sind alle Beteiligten aufgerufen, umfassend über diese existenzielle Gefahr aufzuklären.

Hierzu gehört auch die klare Aussage: Mit einer BU-Absicherung sollte sich die nun in das Arbeitsleben startende Generation Z frühzeitig beschäftigen. Auch wenn viele mit Mitte 20 kerngesund sind und sich nur schwer ein anderes Szenario vorstellen können, sind sie vor einer Berufsunfähigkeit nicht gefeit. Und mit steigendem Alter und dicker werdender Krankenakte steigen die Versicherungsbeiträge und einige Berufstätige werden leider unversicherbar. Das sind keine Schreckensgespenster des Versicherungsvertriebs, sondern risikoorientierte Wahrheiten.


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