Wer sichert die Rente? Eine Einordnung der Bundestagswahl-Programme
Ohne nachhaltigen Plan droht ein immer größer werdender Teil der Gesellschaft geradewegs in die Altersarmut zu schlittern. In den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 bleibt Altersarmut jedoch kaum mehr als ein Schlagwort. Ein Gastbeitrag von Hermann Schrögenauer, Vorstand der LV 1871.
Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Prognosen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zufolge kommen bis 2030 auf einen Altersrentner nicht einmal mehr zwei Beitragszahlende. Dabei reicht das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent schon heute für viele Menschen nicht mehr zur Sicherstellung ihres Lebensstandards. Bedingt durch den demografischen Wandel und den Renteneintritt der Baby-Boomer befürchten Experten sogar eine weitere Absenkung auf bis zu 37 Prozent. Dabei ist die Sicherstellung der Altersvorsorge neben Klimawandel und bezahlbarem Wohnraum eines der drängendsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit.
Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Renteneinstiegsalter
Hauptleidtragende dieser Entwicklung werden wieder einmal die Jüngeren sein – allen voran jene Generationen, die bereits die Folgen der Corona-Pandemie schultern müssen. Dennoch träumt die Mehrheit der Bundesbürger weiterhin von einem Renteneinstieg mit 60 Jahren, wie aus einer Civey-Umfrage in unserem Auftrag hervorgeht. Andererseits fordern führende Wirtschaftsinstitute, das Renteneinstiegsalter auf 69 Jahre zu erhöhen. Um diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit nachhaltig zu schließen, braucht es zukunftsfähige Lösungen für die Altersvorsorge. Welche Antworten liefert also die Politik?
CDU und SPD: Fantasielosigkeit bei der Altersvorsorge
Gerade Parteien wie die SPD oder die CDU, die ihre Wurzeln in der Sozialpolitik haben, enttäuschen bei der Rentenpolitik mit Konzeptlosigkeit. Im Wahlprogramm der CDU taucht der Begriff „Altersvorsorge“ auf 76 Seiten nur ein einziges Mal auf. Dabei wird weiterhin vor allem die Bedeutung der gesetzlichen Rentenversicherung als zentrale Säule der Altersvorsorge betont. Neben stärkeren Anreizen für längeres Arbeiten will die CDU einen Wegfall der Rentenversicherungsfreiheit für Minijobs sowie die Möglichkeit einführen, freiwillig mehr in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Zudem soll eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige, eine „betriebliche Altersvorsorge für alle“ und eine Reform der Riester-Rente in ein verpflichtendes Standardvorsorgeprodukt für alle Arbeitnehmer mit Opt-out-Option kommen.
Noch-Koalitionspartner SPD möchte in erster Linie die gesetzliche Rente stärken, dabei das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent halten und das Renteneinstiegsalter von 67 Jahren nicht anheben. Um dies sicherzustellen, planen die Sozialdemokraten ein für die private Altersvorsorge standardisiertes Angebot, „das kostengünstig ist, digital und grenzüberschreitend und (nach schwedischem Vorbild) auch von einer öffentlichen Institution angeboten wird“. Wie das genau aussehen soll, wird nicht ausgeführt. Obwohl das Ziel lautet, deutlich mehr Beschäftigte abzusichern, ist eine Verpflichtung dazu nicht vorgesehen.
Neben Selbstständigen will man hingegen auch Beamte, Mandatsträger und Freiberufler verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen. Ende Juni kündigte Olaf Scholz im Falle seiner Kanzlerschaft zudem weitreichende Korrekturen bei der Rentenbesteuerung an. So sollen Beiträge zur Rentenversicherung bereits vor 2025 steuerlich absetzbar und die volle Besteuerung der Renten von 2040 auf 2060 verschoben werden.
FDP setzt auf schwedisches Modell der Aktienrente
Die Freien Demokraten setzen beim Thema Altersvorsorge vor allem auf eine gesetzliche Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Dabei sollen zwei Prozent des Bruttoeinkommens zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingezahlt und gewinnbringend angelegt werden und sich der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung im gleichen Umfang reduzieren. Anstelle der Riester-Rente will die FDP so ein staatlich gefördertes „Altersvorsorge-Depot“ ohne obligatorischen Versicherungsmantel einführen. Für Selbstständige ist eine Pflicht zur Altersvorsorge, mit maximaler Wahlfreiheit, geplant.
Bürgerfonds der Grünen lässt Fragen offen
Auch die Grünen halten an der Rente mit 67 und einer Stabilisierung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent fest. Dafür wollen sie als Ergänzung zur staatlichen Rente einen obligatorischen „Bürgerfonds“ mit Opt-out-Option einführen, politisch unabhängig verwaltet und mit nachhaltiger und langfristiger Investmentstrategie. Detailfragen zur Umsetzung werden jedoch nicht beantwortet. Die Skepsis bleibt, dass das im Bürgerfonds angesammelte Kapital für andere Aufgaben zweckentfremdet oder nachträglich unter veränderte Vertragsbedingungen gestellt werden könnte. Anderweitig nicht abgesicherte Selbstständige und Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden.
Maklerrolle bei Honorarberatung wird geschwächt
Interessant: Die Grünen sind die einzige Partei, die Makler in ihr Wahlprogramm mit aufnehmen. Sie fordern künftig eine Beaufsichtigung über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und die Umkehr von der Provisionsberatung hin zur unabhängigen gesetzlich geregelten Honorarberatung. Die Anreize für die Honorarberatung sind grundsätzlich als positiver Schritt zu werten. Doch muss dann auch die Stellung eines auf der Seite des Kunden stehenden, unabhängigen Maklers gestärkt werden, anstelle ihn der BaFin zu unterstellen. Denn letztendlich entscheidet der Kunde selbst, wer ihn bei Finanzfragen berät – das ist Sinn und Zweck einer freien Marktwirtschaft.
Ideen für private Altersvorsorge überzeugen nur in Ansätzen
Es ist unbedingt ratsam und auch die Aufgabe des Staates, ein niedrigschwelliges Angebot für die private Altersvorsorge zur Verfügung zu stellen. Dennoch bleiben alle Parteien den Wählern einen nachhaltigen Plan schuldig, der auch den Zeithorizont einer Rentenansparphase von mehr als 40 Jahren berücksichtigt. Die erwähnten Ansätze von „Bürgerfonds“ bis hin zur gesetzlichen Aktienrente gehen zwar in die richtige Richtung, sind allerdings insgesamt zu halbherzig. Die bAV ist und bleibt eine tragende Säule und muss weiter gestärkt werden. Abgesehen von der CDU und FDP sind die Vorschläge aus den Wahlprogrammen hier jedoch viel zu zurückhaltend. Ein sechster Durchführungsweg oder gar der Ersatz der bAV durch einen „Bürgerfonds“, wie ihn sich die Grünen vorstellen, macht an dieser Stelle wenig Sinn. Der von der aktuellen Regierung auf den Weg gebrachte Pflicht-Arbeitgeberzuschuss ab 2022 ist ein wesentlicher Schritt. Noch gearbeitet werden muss an der Portabilität und der Doppelverbeitragung, wie von der FDP gefordert.
Mehr Investment wagen für eine individuelle Altersvorsorge
Weder CDU/CSU, SPD, Grüne noch FDP haben eine nachhaltige Antwort auf das niedrige Rentenniveau in Deutschland, das bereits unter EU-Durchschnitt und weit hinter Ländern wie Italien und Österreich liegt. Einen Durchschnitt von 48 Prozent halten zu wollen, wie die SPD und die Grünen proklamieren, ist eine Farce. Ebenso sind ein früher Renteneintritt und die Rente mit 67 weiterhin nur auf Kosten der Jungen möglich. Wieder einmal müssen Bürger das Problem also selbst lösen und privat vorsorgen. Sollte es bei der Umlagefinanzierung der Rente bleiben, ist die Politik gefragt, wenigstens vom Wohlstandskiller Niedrigzinspolitik abzukehren und mehr – insbesondere nachhaltiges – Investment zu ermöglichen.
Letztendlich kann ein staatliches System nur eine Grundversorgung leisten und niemals die individuellen Anforderungen der Bürger abdecken. Ein „Standardvorsorgeprodukt“ macht daher wenig Sinn – die Menschen in Deutschland haben keine standardisierten Lebensläufe, keine stringente Erwerbsbiografie. In starren Baukästen zu denken, bringt uns nicht weiter. Die Politik muss die Altersvorsorge attraktiv machen und die Weichen so stellen, dass Versicherer die passenden individuellen Lösungen und dazu auch die Beratung durch den gestärkten, unabhängigen Makler anbieten können.