Kolumne 29.09.2023 Studien | Tests

Arbeiten nur bei sinnvollem Ergebnis zumutbar

Wie stark muss eine selbstständige Online-Händlerin ihren Betrieb umorganisieren, um den Versicherer vor der Zahlung einer BU-Rente zu bewahren? VP-Experte Norman Wirth kommentiert hierzu ein brisantes Urteil des OLG München.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Fall.

Die Klägerin, die einen Onlinehandel betrieb, verlangte die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Sie war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, schwere Pakete zu heben und zu tragen. Der beklagte Versicherer behauptete, die Klägerin sei nicht, wie von den Versicherungsbedingungen vorgesehen, zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig. Das Heben und Tragen von Paketen mache weniger als die Hälfte der Arbeitszeit aus. Außerdem berief er sich darauf, dass die Klägerin als selbstständige Betriebsinhaberin ihren Betrieb erfolgreich umorganisieren könne.

Das Urteil.

Das OLG München (Az. 25 U 2340/21) sprach der Klägerin die begehrten Berufsunfähigkeitsleistungen zu, nachdem bereits das Landgericht der Klage weitgehend stattgegeben hatte. Das OLG stellte unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes klar: Ein Versicherter kann auch dann berufsunfähig sein, wenn die Einzeltätigkeit, die er nicht mehr verrichten kann, weniger als die Hälfte seiner gewöhnlichen Arbeitszeit ausmacht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Versicherte kein sinnvolles Arbeitsergebnis mehr erzielen kann. Diese Voraussetzung sah das OLG im Streitfall als gegeben an: Die Versicherte könne ohne die Fähigkeit, die regelmäßigen Lieferungen anzunehmen und die Ware ins Lager zu bringen, nicht mehr sinnvoll als Onlinehändlerin arbeiten. Auch den Einwand des Versicherers, die Klägerin könne ihren Betrieb ja umorganisieren, ließ das OLG nicht gelten. Als allein arbeitende Selbstständige hätte die Klägerin einen Mitarbeiter einstellen müssen, der ihr die schweren Tragearbeiten abnimmt. Dies wäre im konkreten Fall aber aufgrund der nicht planbaren Lieferzeiten nicht praktikabel gewesen. Außerdem würden die anfallenden Personalkosten bei der Klägerin zu unzumutbaren Einkommenseinbußen führen.

Die Bewertung.

Die Kernaussagen des OLG München sind für die Rechtspraxis der BU-Versicherung von großer Bedeutung. Die Versicherungsbedingungen sehen in der Regel vor, dass der Versicherer erst ab einem Berufsunfähigkeitsgrad von 50 Prozent leistungspflichtig ist. Häufig kommt es zum Streit darüber, ob dieser leistungsauslösende Mindestgrad erreicht ist. Wie die Entscheidung verdeutlicht, darf die Beurteilung nicht rein schematisch nach zeitlichen Kriterien erfolgen. Vielmehr ist auch eine wertende Betrachtung anzustellen und zu fragen, ob der Versicherte noch ein sinnvolles Arbeitsergebnis erzielen kann oder ob die Einzeltätigkeiten, die er nicht mehr verrichten kann, prägend für seinen Beruf sind. Ferner bestätigt die Entscheidung, dass bei Kleinbetrieben eine betriebliche Umorganisation häufig nicht möglich oder wirtschaftlich zumutbar ist.


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