Kolumne 31.05.2022 Recht | Ratgeber

BU: Wie wichtig das Zusammenspiel von Gutachten sein kann

„Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“: Das OLG Frankfurt spricht einem mit Simulationsvorwürfen konfrontierten Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente zu. Über den Fall berichtet VP-Experte Norman Wirth.

Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de) (Foto: Wirth-Rechtsanwälte)
Experte in Sachen Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Norman Wirth von der Berliner Kanzlei Wirth Rechtsanwälte (www.wirth-rae.de)
(Foto: Wirth-Rechtsanwälte)

Der Fall.

Ein Mann, der als Flugzeugabfertiger arbeitete, schloss 2001 eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer monatlichen Rente ab. Er wurde von seinem Arbeitgeber ab dem Jahr 2002 aufgrund gesundheitlicher Probleme innerbetrieblich auf verschiedene Positionen abgeordnet. Im Jahr 2005 wurde bei ihm eine undifferenzierte Oligoarthritis nebst chronifiziertem Schmerzsyndrom diagnostiziert. Aufgrund der anhaltenden gesundheitlichen Beschwerden wurde das Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag im Jahr 2008 schließlich beendet. Als der Betroffene bei seinem Versicherer einen Antrag auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente ab Januar 2006 stellte, lehnte diese ab.

Der Rechtsstreit.

Der Mann klagte, nahm im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens die Klage teilweise zurück und begehrte die Rentenzahlung ab August statt ursprünglich Januar 2006. Das Landgericht wies die Klage nach Beweisaufnahme mittels Gutachten ab, da der Kläger nicht an einer rheumatischen oder psychischen und seine Berufsfähigkeit einschränkenden Erkrankung leide. Hinsichtlich einer neurotischen Störung fehle es an dem Nachweis einer emotionalen Konfliktsituation oder psychosozialen Belastungssituation. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Das Urteil.

Das OLG Frankfurt (Az. 7 U 199/12) stellte fest, dass der Kläger aufgrund einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen psychischen Faktoren in Bezug auf seinen Beruf als Flugzeugabfertiger ab Februar 2010 zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig sei und sprach ihm die begehrte BU-Rente ab März 2010 zu,. Das OLG stützte seine Entscheidung zum einen auf ein internistisch-rheumatologisches Gutachten, dass eine Beeinträchtigung von nur 40 Prozent feststellte und zum anderen auf ein psychosomatisches Gutachten, das beim Kläger eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren feststellte. Das zweite Gutachten knüpfte dabei an das erstgenannte an. Es räumte den Vorwurf der Simulation aus und löste auch die Diskrepanz zwischen den vom Kläger empfundenen Schmerzen und den objektiv bei dem gestellten Befund des Klägers zu erwartenden Schmerzen auf.

Die Bewertung.

Die hier getroffene Entscheidung der Frankfurter Richter zeigt, dass es gerade in existenziellen Fragen wie der Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente darauf ankommt, gutachterlich präzise herauszuarbeiten, welche medizinisch anerkannte Diagnose das eigene Leid beschreibt und damit die Berufsunfähigkeit begründet. Der Fall zeigt, dass für die zutreffende Diagnose auch die Begutachtung mehrerer Sachverständiger notwendig sein und es auf deren Zusammenspiel ankommen kann. Zur Erreichung dieses Ziels sollte vor der Ausschöpfung des Instanzenzugs nicht zurückgeschreckt werden.


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