15.07.2024 Recht | Ratgeber

Die Grenzen von Telematik-Tarifen

Gesünder leben und Prämien sparen: Telematik-Tarife werden bei Berufsunfähigkeits­versicherern immer beliebter. Doch die Klauseln müssen ausreichend transparent sein, stellte jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) klar. FOCUS MONEY-­Versicherungs­profi-­Experte Dr. Markus Weyer erklärt, warum das Urteil für die Branche so bedeutend ist.

Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com). (Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)
Beschlagen im Versicherungsrecht: Dr. Markus Weyer von der Berliner Kanzlei Weyer Rechtsanwaltsgesellschaft (www.weyerlegal.com).
(Foto: WEYER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH)

Die Ausgangslage.

Die Generali-Tochter „Dialog Lebensversicherungen“ bot ihren Kunden eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Form eines Telematik-Tarifs, bei dem gesundheitsbewusstes Verhalten (z.B. Sport treiben) per App dokumentiert und später durch Prämienrabatte belohnt wird (sog. „Vitality Programm“). Laut Versicherungsbedingungen wird die Überschussbeteiligung über sonstiges gesundheitsbewusstes Verhalten des Versicherten mit einem „Vitality Status“ im „Vitality Programm“ bemessen. Bei verspäteter Information über das Verhalten wird der Vertrag so behandelt, als hätte der Versicherte sich nicht entsprechend gesundheitsbewusst verhalten. Für Einzelheiten der Überschussberechnung verweist der VR auf den Geschäftsbericht.
Diese Klauseln erschienen dem Bund der Versicherten (BdV) intransparent. Der VN erfahre nicht, welches konkrete Verhalten zu Vergünstigungen führe. Außerdem sei nicht klar geregelt, warum der VN eine verspätete Mitteilung an den VR zu vertreten und den Rabattverlust hinzunehmen habe.

Der Rechtsstreit.

Das Landgericht München I (Az. 12 O 8721/20) gab dem BdV auf ganzer Linie Recht. Das OLG München wies die Berufung des VR zurück (Az. 29 U 620/21). Die Kammer bemängelte vor allem die intransparente Koppelung der Überschussbeteiligung an die Telematik. So sei nicht erkennbar, dass Rabatte durch zu verteilende Überschüsse begrenzt sind. Unklar sei auch, inwiefern der eigene Rabatt vom gesundheitsbewussten Verhalten der anderen Versicherten, die am diesem Programm teilnehmen, abhänge.

Das Urteil.

Auch die Revision vor dem Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 437/22) scheiterte. Die strittigen Klauseln zur Überschussbeteiligung in Zusammenhang mit Telematik-Tarifen sind laut BGH unwirksam. Die Klausel verdeutliche dem VN nicht, welche Maßstäbe für die vorgesehene Modifizierung seiner Überschussbeteiligung gelten. Die Höhe der Versicherungsprämie bleibe damit unklar. Zudem sei der Verweis auf den Geschäftsbericht unzureichend, weil dort keine abstrakten Regelungen zur Anpassung der Überschussbeteiligung enthalten sind. Eine Informationsklausel, bei der fehlende Angaben über „sonstiges gesundheitsbewusstes Verhalten“ per se zu Rabattverlusten führen, benachteilige den VN unangemessen.

Das Fazit.

Da VR zunehmend Prämienrabatte durch Datenerfassung über Apps abwickeln wollen, ist die Entscheidung von erheblicher Bedeutung. Der BGH stellt auch klar, dass Transparenz einer Telematikklausel auch nicht durch Informationsschreiben an den VN gewahrt werde. Abzuwarten bleibt, wo der Datenschutz Telematik-Tarifen Grenzen setzen wird.


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