Erfolg vor Gericht eine Frage des Orts?
Rechtsstreitigkeiten um den Widerruf von Lebensversicherungen enden häufig vor Gericht. Doch agieren bestimmte Kammern womöglich kundenfreundlicher als andere? Die Verbraucherzentrale Hamburg hat dazu eine Stichprobe durchgeführt
Kaum eine BGH-Entscheidung hat in der Lebensversicherungsbranche für so viel Furore gesorgt wie das Widerspruchsurteil aus dem Jahr 2014. Es ermöglicht Lebensversicherungskunden, die ihre Police zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen haben, den Vertrag nachträglich zu widerrufen – auch Jahre später. Voraussetzung ist, dass sie beim Abschluss nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht informiert worden waren, was bei vielen Verträgen aus diesem Zeitraum der Fall ist. Zahlreiche Kunden haben von diesem juristischen Hintertürchen dankbar Gebrauch gemacht. Denn anders als bei einer ordnungsgemäßen Kündigung wird der Vertrag nach dem Widerruf komplett rückabgewickelt. Das ist für den Versicherten in der Regel deutlich lukrativer.
Kunden klagen, wenn der Versicherer mauert
Doch nicht jeder Betroffene kommt so leicht aus seinem Vertrag. Mitunter lehnen die Versicherer den Widerspruch mit der Begründung ab, der Anspruch sei verwirkt. Häufig enden solche Fälle dann vor Gericht. Ob das dann eher für oder gegen den Versicherten entscheidet, hängt wohl auch vom Gerichtsstand ab. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH). Der Verein hat in einer Stichprobe 70 Gerichtsentscheidungen zur Verwirkung des Widerspruchsrechts ausgewertet.
In Dresden höhere Erfolgschancen als in Hamburg?
„Einige Gerichte in Deutschland entscheiden in diesen Fällen auffällig oft zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagt Christian Biernoth von der VZHH. Zu den eher „versicherungsfreundlichen“ Gerichtsständen zählten demnach etwa Hamburg, München und Brandenburg. „Hier ist das Risiko, dass die Gerichte eine Verwirkung des Widerspruchs anerkennen, besonders hoch“, sagt Biernoth. Nach VZHH-Einschätzung berechtigte Ansprüche seien dann nicht durchsetzbar. „Verbraucherfreundlicher legen die Oberlandesgerichte in Dresden, Karlsruhe, Oldenburg, Stuttgart oder Koblenz die Verwirkung aus.“
Geringer Stichprobenumfang weckt Zweifel
Allerdings ist die Basis der Untersuchung recht dünn, da es sich lediglich um Stichproben handelt. Schätzungen zufolge wird in Deutschland weniger als ein Prozent der ergangenen Urteile auch veröffentlicht. „Die Gesamtzahl der Urteile zu dem Thema kennen wir nicht“, erklärt Biernoth denn auch auf VP-Nachfrage. Allein die juristische Datenbank „beck-online“ enthalte insgesamt 362 relevante Urteile. „Die tatsächliche Anzahl der Urteile dürfte um ein Vielfaches höher sein.“ So bleiben leise Zweifel an der Aussagekraft der Untersuchung.
Regionale Unterschiede möglich
Dazu kommt, dass die VZHH auch nicht erläutert, wie sich die 70 Gerichtsurteile auf die 23 Landes- und Oberlandesgerichte verteilen. Eine zusätzliche statistische Unschärfe ist also nicht ausgeschlossen. Interessant bleibt das Thema aber allemal. Schließlich sind regional unterschiedliche Rechtsauffassungen ein durchaus bekanntes Phänomen. So werden Klagen gegen Medien wegen der zu erwartenden betroffenenfreundlicheren Rechtsprechung besonders gern bei den Pressekammern der Gerichte in Hamburg oder Berlin eingebracht – Kläger haben hier die Möglichkeit des „fliegenden Gerichtsstands“. Lebensversicherungskunden steht die nicht offen, sie können lediglich an ihrem Wohnort oder am Sitz ihres Versicherers klagen.