BGH-Urteil zerstört Hoffnung vieler Versicherungskunden
Paukenschlag in Karlsruhe: Das lang erwartete Urteil in Sachen Betriebsschließungsversicherung fällt entgegen mancher Erwartung gegen den Kläger aus. Für ähnlich gelagerte Fälle dürfte es Signalwirkung haben, aber noch sind 160 Verfahren offen.
Auf dieses Urteil wurde lange gewartet und dürfte nun viele Betroffene enttäuschen. Gestern (26. Januar) hat der vierte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe entschieden (Az. IV ZR 144/21), dass ein Gastronom aus Lübeck keine Entschädigung aus seiner Betriebsschließungsversicherung (BSV) für den Lockdown im Frühjahr 2020 bekommt. Es war das erste Mal, dass sich der BGH mit der Thematik befasste. Das Urteil dürfte Auswirkungen auf die rund 160 weiteren beim BGH anhängigen Fälle haben. le. Seit Beginn der Pandemie stand die Versicherungsbranche wegen ihrer angeblich mangelnden Zahlungsbereitschaft öffentlich massiv unter Druck.
Gastronom verlangte 40.000 Euro
Im konkreten Fall verlangte der Kläger von seinem Versicherer, der AXA, aufgrund der pandemiebedingten Schließung eine Entschädigung von rund 40.00 Euro aus seiner BSV. Am 18. März 2020 trat nämlich die entsprechende Landesverordnung in Schleswig-Holstein in Kraft, die auch die Schließung sämtlicher Gaststätten vorsah. Zwar sieht der Vertrag Versicherungsschutz im Fall der Schließung aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz vor – allerdings nur bei Auftreten der dort aufgezählten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger. Das Coronavirus SARS-CoV-2 war zum damaligen Zeitpunkt dort nicht aufgeführt. Aus diesem Grund lehnten bereits die Vorinstanzen die Klage allesamt ab.
BGH: Keine Deckung wegen abschließender Krankheitsaufzählung im Infektionsschutzgesetz
Der BGH folgte dieser Auffassung nun und wies die Revision zurück. Zwar setze der Eintritt des Versicherungsfalls nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden Infektionsgefahr voraus. Das habe noch das OLG Schleswig-Holstein angenommen. Allerdings habe es richtig erkannt, dass eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei. Die Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten in den Zusatzbedingungen der Versicherung sei abschließend. Sowohl Wortlaut als auch Sinn und Zweck der Klausel sprächen dafür. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer könne nämlich nicht davon ausgehen, dass der Versicherer auch für nicht aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will. Wie gerade Covid-19 zeige, könnten diese schließlich auch erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten. Wegen der daraus folgenden Unklarheit sei für den Versicherer keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich.
AXA und GDV begrüßen BGH-Urteil
Die beklagte AXA begrüßte erwartungsgemäß die BGH-Entscheidung, „weil sie unseren Versicherten und uns Rechtssicherheit gibt“. Es brauche klare vertragliche Grundlagen für die Regulierung von Versicherungsfällen. Ähnlich äußerte sich Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): „Die heutige BGH-Entscheidung bestätigt: Corona ist nicht versichert, wenn es in der Liste versicherter Krankheiten der Versicherungsbedingungen nicht genannt ist. Das Urteil bringt damit Rechtssicherheit für Verträge mit identischen Klauseln. Grundsätzlich können wir die Enttäuschung von Gastronomen und Hoteliers verstehen, wenn Versicherer Zahlungen ablehnen. Versicherer können aber nur das bezahlen, was versichert ist.“
Experte reagiert teilweise mit Unverständnis
Enttäuscht sein dürfte neben dem Lübcker Gastronom nun auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sein. Deren Hauptgeschäftsführerin, Ingrid Hartges, hatte vor der BGH-Verhandlung auf eine „Trendwende“ gehofft. Auch viele Experten sahen gute Chancen für die Versicherten und müssen die Lage jetzt neu bewerten. Zu ihnen zählt der Berliner Rechtsanwalt Norman With, dessen Kanzlei Wirth Rechtsanwälte viele Betroffene vertritt. „Ich hätte tatsächlich ein teilweise anderes Ergebnis erwartet und tue mich äußerst schwer, die bisher bekannte Position des BGH nachzuvollziehen.“ Es fehle allerdings auch noch die ausführliche Urteilsbegründung.
Wirth ist weiterhin überzeugt, dass Versicherungsnehmer davon ausgehen konnten, dass jede Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst ist. Erst recht, wenn jeder Hinweis dazu in den Vertragsbedingungen fehlt, dass neu hinzukommende Krankheiten im Infektionsschutzgesetz vom Versicherungsschutz nicht umfasst sind. „Die Intransparenz zeigt sich doch bereits daran, dass zu dem Thema die Gerichte auch unterschiedlich entscheiden. Wenn sich schon Gerichte darüber nicht einig sind, wie soll dann ein – vom BGH ja immer herangezogener – durchschnittlicher Versicherungsnehmer das verstehen?“, so der Rechtsanwalt.
Nur für ein Teil der Fälle ein Grundsatzurteil
Dennoch habe das jetzige Urteil aus Karlsruhe Signalwirkung. Wirth: „Für eine Vielzahl von Fällen, bei denen gleichlautende Klauseln mit abschließender Aufzählung der Infektionskrankheiten vorlagen, ist das ein Grundsatzurteil, ganz klar. Aber es sind auch noch viele weitere Rechtsfragen im Betriebsschließungs-Komplex ungeklärt, etwa bezüglich anderer Bedingungswerke oder dem Deckungsumfang sowie der Fragen der Schadenregulierung und des Weiterbestehens der Policen. Wir werden auch in Zukunft weitere Urteile dazu erleben, auch vom BGH.“
Die BSV war ursprünglich nicht für Pandemien konzipiert. Bei der Entwicklung solcher Policen dachten Versicherer in der Vergangenheit eher an behördlich angeordnete Schließungen zum Beispiel wegen einer Salmonellen-Infektion und berechneten daher im Verhältnis zur Deckungssumme sehr niedrige Prämien. Zudem gingen die meisten Anbieter in ihren Geschäftsbedingungen nicht auf Schließungen infolge von Pandemien ein. So kam es in den vergangenen zwei Jahren zu zahlreichen Streitfällen, in denen es zumeist um den genauen Wortlaut der Versicherungsbedingungen ging.
Branche reagiert mit neuen Bedingungen auf zwei Jahre Streit
Landeten Streitfälle vor Gericht, endeten sie meist zugunsten der Versicherer. Der GDV verweist auf 470 erstinstanzliche Verfahren, von denen etwa jedes zehnte gegen die Mitglieder entschieden worden sei. Bei den Berufungsverfahren seien 95 Prozent für die Versicherer geendet. Das Gros der Fälle dürfte durch außergerichtliche Vergleiche aber bereits zuvor gelöst worden sein. Insgesamt wurden seit 2020 nach GDV-Angaben rund eine Milliarde Euro für versicherte Schäden nach der Betriebsschließungsversicherung geleistet. Um für die Zukunft besser gewappnet zu sein, hat die Branche ihre Bedingungen bereits weitreichend angepasst. Pandemien sind in der BSV nun eindeutig ausgeschlossen.