Kampf um den Nachwuchs: Jeder achte Ausbildungsplatz blieb 2021 unbesetzt
Die Versicherungsbranche kämpft um ihren guten Ruf. Doch die Zahlen lügen nicht: Der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen ist im vergangenen Jahr weiter auf zwölf Prozent gestiegen. Oft fehlt es an geeigneten Bewerbern. Und nach abgeschlossener Ausbildung bekommen Nachwuchskräfte im Innendienst oft nur einen befristeten Arbeitsvertrag.
Eine aktuelle Studie der Versicherungswirtschaft zeigt, dass es auch den Versicherern immer schwerer fällt, geeigneten Nachwuchs zu finden. Im Jahr 2021 blieben demnach zwölf Prozent der Ausbildungsplätze und 20 Prozent der dualen Studienplätze unbesetzt. Durchgeführt wurde die „Ausbildungsumfrage der Versicherungswirtschaft 2022“ vom Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen (AGV) und dem Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV). Die Ergebnisse basieren auf den Rückmeldungen von 62 Versicherungsunternehmen bzw. Unternehmensgruppen, die 92 Prozent der Beschäftigten im Innen- und angestellten Außendienst repräsentieren.
Bildungsverbände mit eigenwilliger Interpretation der Zahlen
Die Verbände bewerten die Zahlen indes positiv und sprechen davon, dass nach zwei Jahren Corona-Pandemie die Ausbildung in der Versicherungswirtschaft immer noch ein erstklassiges Niveau habe. Dafür spricht in der Tat, dass fast alle Auszubildenden (99 Prozent) ihre Abschlussprüfung bestanden haben. Aber: Auch wenn es gelungen sei, die meisten Ausbildungsplätze (88 Prozent) zu besetzen, wird das laut der Studienautoren immer schwieriger. Tatsächlich hat sich die Situation gegenüber den Vorjahren weiter zugespitzt, auch wenn die Verbände dies nicht erwähnen. In den Jahren 2017 bis 2019 konnten die Versicherer noch mehr als 90 Prozent der Ausbildungsplätze vergeben. Was die Gründe für unbesetzte Stellen angeht, geben die betroffenen Unternehmen als häufigsten Grund die unzureichende Eignung von Bewerbern an (97 Prozent). Weshalb es den Bewerbern an Eignung fehlen soll, geht aus der Studie jedoch nicht hervor. Die zweithäufigste Ursache für unbesetzte Stellen ist laut Befragung eine regional schlechte Bewerbersituation. 78 Prozent stimmen dieser Aussage zu.
Im Innendienst kriegen viele nur einen befristeten Vertrag
Auffällig ist, dass der Anteil der Ausbildungsplätze in den Unternehmen seit Jahren kontinuierlich sinkt – von 69 Prozent im Jahr 2017 auf 61 Prozent im Vorjahr. Parallel dazu wächst der Anteil der von den Unternehmen finanzierten Ausbildungen in Vertriebseinheiten. Als „Topwert“ bezeichnen AGV und BWV die Übernahmequote von 70 Prozent. Dieser ist in manchen Branchen allerdings deutlich höher. Von den nicht übernommenen Azubis beginnen laut Befragung zwölf Prozent ein Studium und 57 Prozent machen sich im Außendienst selbstständig. Bemerkenswert ist der Blick auf die konkrete Weiterbeschätigung der Azubis innerhalb der Branche. Nur knapp 60 Prozent der übernommenen Absolventen erhalten einen unbefristeten Arbeitsvertrag im Innen- oder Außendienst, 38 Prozent bekommen hingegen nur einen befristeten Vertrag. Besonders schwer ist es für Nachwuchskräfte offenbar, im Innendienst eine unbefristete Stelle zu ergattern. Hier ist fast jeder zweite Übernahmevertrag befristet – im Außendienst dagegen nur jeder vierte.
Mobilarbeit auch in der Ausbildung mit wachsender Bedeutung
Einen besonderen Fokus legt die diesjährige Ausbildungsumfrage auf die Frage, welche Bedeutung der Mobilarbeit in der Ausbildung nach der Pandemie gegeben wird. Dabei zeigen sich folgende Trends: Der überwiegende Anteil der Versicherer (80 Prozent) plant, Mobilarbeit anzubieten und dafür auch die entsprechenden Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen (95 Prozent Zustimmung). 44 Prozent geben jedoch an, für den Einsatz keine generelle zeitliche Festlegung zu treffen. Auch kommt für 72 Prozent Mobilarbeit erst zur Anwendung, wenn Auszubildenden die Unternehmenskultur und die Arbeitsabläufe vertraut sind.
Den Ausbildern kommt in der Mobilarbeit im „New Normal“ eine wesentliche Rolle zu: feste Austauschzeiten, eine sehr gute Erreichbarkeit und individuelle Einteilung der mobilen Arbeitsanteile seien wesentlich für das Gelingen dieser Arbeitsform, so die Studie. Bei der Vermittlung neuer Lerninhalte wird jedoch weiterhin das Präsenzlernen bevorzugt. Eine weitere Erkenntnis der Umfrage: Für 87 Prozent der befragten Versicherungsunternehmen haben die personalen Kompetenzen in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Wie in der Ausbildungsumfrage 2017 ist im Recruiting die Bewerber-Kompetenz Eigeninitiative/-verantwortung deutlich auf Platz 1 geblieben. Die antwortenden Unternehmen geben an, dass diese Kompetenz u.a. bei der Mobilarbeit besonders benötigt und damit gestärkt wird.