Die ESG-Abfrage als Chance für mehr Kundennähe
In der Online-Beratung droht die emotionale Bindung zum Kunden verloren zu gehen. Ausgerechnet die sperrige Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen könnte eine passende Gelegenheit sein, das zu ändern. Ein Gastbeitrag von Dr. Christian Bohner, COO beim Dresdner Software-Unternehmen Bridge ITS.
Die Pflicht zur Nachhaltigkeitspräferenzabfrage bringt es mit sich, dass Vermittler am besten doch auch gleich ein passendes Produkt in petto haben sollten. Falls vorhanden, ein dunkelgrünes. Oder wenigstens eines, das einem hellgrünen Plus-Standard entspricht. Denn welche Verbraucher wollen schon in Kinderarbeit oder Waffenproduktion investieren? So sinnvoll es ist, dass Verbraucher lernen, mit ihren Finanzentscheidungen hinsichtlich Klimaschutz und Sozialstandards Gutes tun zu können oder einfach mehr auf die Unternehmensführung einer Aktiengesellschaft zu achten – ich finde: Zur Ehrlichkeit gehört auch dazu, dass vielen Menschen diese Themen bisher weniger bis gar nicht wichtig sind. Und: Auch vielen Vermittlern und anderen Finanzdienstleistern ist die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage eher lästig. Hält nur vom Verkauf ab, so der Tenor, vor allem in der Online-Beratung.
Sich als Nachhaltigkeitsexperte positionieren
Dabei verkennen sie aber, dass in der ESG-Abfrage auch ungeahnte Chancen liegen. Nämlich dann, wenn die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage zur Erzeugung von mehr Kundennähe genutzt werden kann. Ich glaube, dass die Mehrzahl der Vermittler mittlerweile ganz gut im Thema ist, nicht aber unbedingt die Verbraucher. Das bietet Finanzdienstleistern die Möglichkeit, sich zusätzlich als Nachhaltigkeitsexperten zu positionieren, indem sie den Sinn, aber auch Unzulänglichkeiten der Taxonomie- und Offenlegungsverordnung im Wesentlichen erklären. Dafür gilt es, sich fortlaufend weiterzubilden.
Und warum nicht beispielsweise auch offen über „Greenwashing“ sprechen? Ein Öl- oder Gasfonds, der Branchen wie Atomkraft, Tabak oder Waffenproduktion ausschließt, mag auf dem Papier nachhaltig sein. Aber ist eine Investition in fossile Energien die Art von Nachhaltigkeit, die Verbraucher erwarten? Wohl kaum. Ausschlüsse von Branchen oder Staaten werden nicht reichen, um das Investitionsverhalten in Richtung Nachhaltigkeit wie gewünscht umzusteuern. Die Kriterien zur Messung nachhaltigen Wirtschaftens vor allem im Bereich Soziales und Unternehmensführung fehlen auf Seiten der Regulatorik noch gänzlich. Derzeit bekommen viele Produkte einen grünen Anstrich, den sie kaum verdienen. Vermittler müssen das richtig einordnen können. Die Intransparenz der Anbieter ist für Vermittler eine große Chance, in die Bresche zu springen. Das erhöht bei Kunden das Vertrauen und weckt Emotionen, sogar in der Online-Beratung.
Trockenes Abfragen kostet Zeit und ist ein Stimmungskiller
Dafür ist es aber notwendig, dass der technisch-administrative Ablauf der ESG-Abfrage nicht die gerade hergestellte Kundennähe wieder zerstört. Die allermeisten Finanzdienstleistungsunternehmen haben ihre Außendienste mehr oder weniger gut ausgerüstet, um mit diesem riesigen Fragenkatalog fertigzuwerden, den die Gesetzgeber in Brüssel vorschreiben. Wir stellen dennoch fest, dass vor allem viele Makler noch immer keine echte Lösung gefunden haben, mit der sie zügig und zugleich haftungssicher diesen Verordnungswust abarbeiten können. Aber auch die an Produktgeber oder Finanzvertrieben gebundenen Berater stehen meiner Meinung nach nicht unbedingt viel besser da. Sie müssen mit vielseitigen Formularen hantieren; andere haben zwar verschlankte Vorgaben, aber dennoch beansprucht die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage viel Zeit. Und rein technische, administrative Vorgänge sind in der Finanzberatung immer ein Stimmungskiller – und in der Online-Beratung ganz besonders.
Finanzberatung mit Interaktion zum Aha-Erlebnis machen
Vermittler sollten versuchen, neue Wege zu gehen und sich nach alternativen Beratungskonzepten umsehen. Die Versicherungsgruppe Die Bayerische mit ihrer nachhaltigen Investment-Tochter Pangaea Life macht es beispielhaft vor, wie es gehen könnte. Sie bietet ihren Vertriebsmitarbeitern eine visualisierte, interaktive Nachhaltigkeitspräferenzabfrage an, deren Ergebnis direkt in die Beratungsdokumentation einfließt. So kann aus einem unliebsamen Element in der Online-Beratung ein emotionales Bindeglied zwischen Berater und Kunden werden. Das Zauberwort, um Kunden aus ihrer passiven Rolle herauszuholen, heißt Interaktion. Sie arbeiten softwarebasiert durch Anklicken am Bildschirm aktiv mit, werden gleichsam Teil des Beratungsprozesses. Denken wir mal weiter: Mit Gaming-Elementen gibt der Vermittler dem Gegenüber die Chance, auf spielerische Weise sein eigenes Profil zu entwickeln. Das kann das Risikoprofil sein oder genauso gut das Nachhaltigkeitsprofil.
Online-Tools nutzen und Verbraucher zum bewussten Entscheider machen
Viel sollten Berater dafür nicht tun müssen. Sie könnten beispielsweise einfach eines der im Markt vorhandenen Online-Tools nutzen, das wie ein sogenannter Fragenbaum konzipiert ist. Maklerfirmen finden sie bei den meisten Pools, die auf solche Softwareangebote in der Regel eine Lizenz besitzen. Finanzvertriebe oder Ausschließlichkeitsorganisationen könnten es den Pools gleichtun. Je nachdem, wie sich der Kunde an welcher Gabelung des Fragebaums entscheidet: Es ist einzig seine unbeeinflusste Entscheidung. Und darüber hinaus eine bewusste. Am Ende eines jeden Astes des Fragebaums folgt die passende Produktempfehlung, dunkelgrün oder hellgrün, sicherheitsorientiert oder spekulativ. Sie beantwortet dem Kunden die Frage, wie nachhaltig er als Verbraucher wirklich ist, quasi automatisch. Die sonst eher trockene Finanzberatung führt so auch zu einer spannenden Selbsterkenntnis und wird als Erlebnis wahrgenommen.