Vollkasko für die Arbeitskraft
„Warum versichern wir unser Auto oft besser als unsere eigene Existenzgrundlage?“, fragt provokant Bastian Kunkel. Der Kolumnist des FOCUS MONEY-Versicherungsprofi macht eine einfache Gleichung auf: Wer auf den Berufsunfähigkeitsschutz verzichtet, kann sich im Ernstfall auch kein Auto mehr leisten.

(Foto: Artur Derr)

Ein kleiner Auffahrunfall, die Stoßstange muss ausgetauscht werden. Zum Glück wird der Blechschaden von der Vollkaskoversicherung übernommen – doch warum versichern wir eigentlich unser Auto oft besser als unsere eigene Existenzgrundlage? Viele Menschen verdrängen den Gedanken an eine ernsthafte Erkrankung oder einen schweren Unfall. Dem Risiko, dass der Job dann nicht mehr ausgeübt werden kann und das Einkommen von heute auf morgen wegfällt, steht die vage Hoffnung gegenüber, dass schon alles gut gehen wird.
Keine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), kein finanzielles Sicherheitsnetz: nachvollziehbar ist das nicht!
Die irrationale Prioritätenfestsetzung
Ein Auto ist ersetzbar, dein Einkommen nicht so einfach. Und trotzdem ist die Vollkasko fürs Auto fast schon Standard, während eine BU als „zu teuer“ oder „nicht so wichtig“ abgetan wird – eine krasse emotionale Fehleinschätzung. Ein Auto kostet vielleicht 30 000 Euro – und dein Einkommen? Über 30 Jahre locker eine Million Euro und mehr. Trotzdem versichern viele ihr Auto, als bilde es die Existenzgrundlage ihres Lebens. Dabei ist es genau umgekehrt: Ohne Einkommen kein Auto – und kein Leben, wie du es gewohnt bist.
Warum handeln Menschen so irrational?
Rational betrachtet ist es also vollkommen absurd, eine Vollkasko fürs Auto zu haben, aber keine für die eigene Arbeitskraft. Doch warum verhalten sich so viele Menschen genau so?
Erstens: Greifbare Bedrohung versus abstraktes Risiko. Ein Autounfall? Das kann jedem passieren, jederzeit. Die Gefahr ist real, greifbar, allgegenwärtig. Berufsunfähigkeit? Klingt weit weg. Man fühlt sich gesund, ist vielleicht noch jung und kennt kaum jemanden, der wirklich berufsunfähig wurde. Das Risiko ist abstrakt – und damit auch die Notwendigkeit, sich dagegen abzusichern.
Zweitens: Die Illusion der eigenen Unverwundbarkeit. Viele Menschen glauben insgeheim: „Berufsunfähig – das passiert mir nicht!“ Krankheiten, psychische Belastungen oder Unfälle haben in der eigenen, optimistischen Lebenseinstellung kaum Platz. Ausgeblendet wird dabei, dass jeder Vierte im Laufe seines Arbeitslebens berufsunfähig wird.
Drittens: Der Preis als vermeintlicher Dealbreaker. „Eine BU ist teuer.“ Das ist ein häufiger Einwand. Und ja, die BU-Versicherung kostet Geld. Aber was ist teurer: ein paar Euro im Monat oder kein Einkommen mehr für Jahre oder Jahrzehnte? Komischerweise zahlen Autofahrer ohne Murren 50 oder 100 Euro im Monat für die Vollkaskopolice, weil „ein Unfall ja teuer werden kann“. Gleichzeitig sind ihnen vergleichbare Beiträge für die BU zu hoch – obwohl es dabei um ihre finanzielle Existenz geht.
Viertens: BU-Policen haben ein Imageproblem. Autos sind cool, Vollkasko hört sich nach Luxus und Sicherheit an. Dagegen klingt eine BU-Versicherung nach Krankheit, Pessimismus, vielleicht sogar Schwäche. Auch deshalb vermeiden es viele, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Realität ist härter als jede Autoversicherung
Die meisten Menschen überschätzen das Risiko eines Autounfalls und unterschätzen die Gefahr einer Berufsunfähigkeit. Das ist nicht nur irrational – es kann dich auch finanziell ruinieren. Ein kaputtes Auto kann repariert werden. Notfalls fährt man Bus oder kauft sich einen Gebrauchtwagen. Ein dauerhaft verlorenes Einkommen kann die Altersvorsorge zerstören, die Ersparnisse auffressen und den Lebensstandard drastisch senken. Wer sich also eine Vollkaskoversicherung fürs Auto leistet, sollte sich dringend fragen: Warum nicht auch eine für die eigene Arbeitskraft?
Fazit: Finanzielles Sicherheitsnetz für den Ernstfall
Am Ende ist die Rechnung ganz einfach: Kein Einkommen, keine Lebensqualität! Menschen, die auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung verzichten, riskieren objektiv mehr, als sich die meisten von ihnen eingestehen wollen. Der Verlust der eigenen Arbeitskraft wird als abstraktes Risiko wahrgenommen – tatsächlich aber ereilt jeden vierten Arbeitnehmer das Schicksal der Berufsunfähigkeit. BU-Policen gehören zu den wichtigsten Versicherungen überhaupt und sind im Ernstfall fraglos ein wertvolles finanzielles Sicherheitsnetz.
Weitere Artikel

„Der Mangel an Fachkräften ist ein wesentlicher Engpass“

„KI läuft mit menschlicher Expertise zur Höchstform auf“
