Pandemie zwingt der R+V neuen Kurs auf
Der Chef des genossenschaftlichen Versicherers, Norbert Rollinger, bringt unterschiedliche Tarife für Geimpfte und Ungeimpfte ins Spiel. In einem SZ-Interview kündigte er angesichts eines drohenden Ergebniseinbruchs zudem Anpassungen bei der Wachstumsstrategie des Konzerns an.
Paukenschlag aus Wiesbaden: R+V-Konzernchef Norbert Rollinger hat in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) Überlegungen seines Unternehmens zum Umgang mit Ungeimpften und einen Strategiewechsel des Versicherers als Folge von Pandemie und anhaltender Zinskrise angekündigt. Der R+V drohe sonst ein Ergebnisrückgang in dreistelliger Millionenhöhe.
R+V-Chef wirft Impfverweigerern schädliches Verhalten vor
„Wir sollten über eine differenzierte Behandlung von Geimpften und Impfverweigerern auch bei Versicherungsabschlüssen nachdenken, wenn wir uns weiter so schwer tun, aus dieser Krise herauszukommen“, forderte Rollinger. In einem weiteren Gespräch mit „t-online“ machte er seinem Unmut noch deutlicher Luft: „Impfverweigerer zeigen ein sozial schädliches Verhalten – wenn es nicht gute medizinische Gründe gibt, die im Einzelfall gegen eine Impfung sprechen.“ Deutschland stehe in einem ökonomischen Wettbewerb und sei gegenüber Ländern wie Großbritannien, Dänemark und Belgien im Hintertreffen, die schon viele Restriktionen hätten aufgeben können. Rollinger argumentierte dabei mit den unterschiedlichen Inzidenzwerten von Geimpften und Nicht-Geimpften sowie den Folgen für das Gesundheitssystem.
Sollten diese Gedankenspiele Realität werden, dürften Tarife für Ungeimpfte teurer werden. Technisch möglich ist eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Impfverweigerern etwa bei der privaten Krankenversicherung und der Berufsunfähigkeitsversicherung. Zur konkreten Umsetzung wollte sich der R+V-Chef laut SZ aber nicht äußern. „Die Politik hat über die Lohnfortzahlung nachgedacht, die private Versicherungswirtschaft muss auch nachdenken dürfen“, sagte er.
Zinstief belastet Kapitalanalgen und bedroht Gewinnziele
Noch viel schwerer dürften die langfristigen Folgen der Corona-Pandemie auf Rollingers Schultern lasten. Die Pandemie habe die niedrigen Zinsen weiter zementiert, beklagte er gegenüber der SZ. „Wenn wir nichts tun, werden wir eine Lücke beim Ergebnis von 150 Millionen Euro bis 200 Millionen Euro haben.“ Das komme allein dadurch zustande, dass sich die niedrigen Zinsen in die Kapitalanlagen hineinfressen, so Rollinger. Das käme bei den Eignern überhaupt nicht gut an. Der Versicherer gehört zu 92 Prozent der DZ Bank, dem Zentralinstitut der Raiffeisen- und Volksbanken, der Rest der Anteile liegt bei einzelnen Banken und anderen Organisationen im Verbund. In Zeiten niedriger Zinsen sind die Ausschüttungen der R+V und die Provisionen, die für die Vermittlung von Versicherungsverträgen an die Banken gehen, laut SZ für sie von noch größerer Bedeutung als sonst.
Kein Wachstum um jeden Preis
Um den Gewinn zu halten, will die R+V die rückläufigen Kapitalerträge über bessere Ergebnisse im Kerngeschäft Versicherung ausgleichen, so Rollinger. Dazu müsse das Unternehmen die Zügel anziehen bei der Bewertung der Risiken, die es übernimmt, bei der Schadenregulierung und bei den Kosten. Im Strategieprogramm, das 2022 ausläuft, habe vor allem Wachstum im Vordergrund gestanden. Mit Erfolg, wie die SZ feststellt: Die R+V ist jetzt nach der Allianz der zweitgrößte Privatkundenversicherer im Land. Doch im Corona-Jahr 2020 brach das Ergebnis um 70 Prozent ein. Gleichzeitig legte der genossenschaftliche Versicherer auch in dem Jahr mit einem Plus von acht Prozent weit stärker zu als der Markt, der ein Wachstum von nur 1,2 Prozent erreichte. „Bisher waren wir in der Lage, überall wachsen zu können. Jetzt müssen wir differenzierter hinschauen, wo wir profitables Wachstum generieren können“, so Rollinger.
Bessere Kosteneffizienz und höhere Produktivität im Vertrieb
Um Kosten zu senken und noch wettbewerbsfähiger zu werden, baue das Unternehmen seine IT grundlegend um. „Wir wollen die gesamte IT-Landschaft erneuern, damit wir deutlich schneller werden“, sagte der R+V-Chef den Interviewern. Personal will die R+V indes nicht abbauen. „Wir sind ein wachsendes Unternehmen.“ Rollinger könne sich aber vorstellen, die Zahl der netto neu hinzukommenden Stellen von 300 auf 100 zu drosseln. Auch die Vertreter würden nicht überflüssig, glaubt er. Neue Elemente wie Telefonberatung und Abschlüssen per Internet würden aber an Bedeutung gewinnen.
Rollinger strebt zudem für den Vertrieb eine Produktivitätssteigerung an. „Es wird erheblich mehr Termine geben, die abgearbeitet werden müssen, ob durch persönlichen Besuch oder Videochat oder indem man schriftlich kommuniziert“, sagte er. Den Verkauf über die Banken im genossenschaftlichen Verbund will er laut SZ deutlich steigern. „Ich sehe weiterhin große Wachstumschancen für uns, weil wir bisher nur rund 30 Prozent des Kundenpotenzials im Verbund ausgeschöpft haben.“