15.11.2022 Recht | Ratgeber

Ist bald „jeder“ ein Versicherungsvermittler?

Der Europäische Gerichtshof will, dass Firmen und Vereine, die Gruppenversicherungen etwa für Mitarbeiter oder Mitglieder abschließen, künftig als Vermittler eingestuft werden.

Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union. (Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)
Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union.
(Foto: Gerichtshof der Europäischen Union)

Die Rechtslage.

Die Gruppenversicherung ist eine in Deutschland recht verbreitete Versicherungsart. Dabei schließt ein Unternehmen oder ein Verein einen Rahmenvertrag mit einem Versicherer ab und bietet Mitarbeitern, Kunden oder Mitgliedern an, ihm beizutreten. Dadurch lassen sich Sonderbedingungen oder Rabatte erzielen. Typische Beispiele sind Krankenzusatzversicherungen über Arbeitgeber oder Unfallversicherungen in Sportvereinen.

Das Urteil.

Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem aktuellen Urteil (Az. C 633/20) entschieden, dass die sogenannte Gruppenspitze, also das Unternehmen oder der Verein, unter bestimmten Voraussetzungen als Versicherungsvermittler zu betrachten ist. Denn laut EuGH stellt ein entgeltliches Angebot zum Beitritt in eine Gruppenversicherung eine Versicherungsvermittlung bzw. einen Versicherungsvertrieb dar.

Die Folgen.

Das Urteil könnte weitreichende Konsequenzen haben. Denn die „vermittelnden“ Unternehmen und Vereine fallen damit unter die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD). Sie müssen folglich bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer eine Erlaubnis zur Versicherungsvermittlung einholen und sich dort registrieren lassen. Außerdem brauchen sie einen Sachkundenachweis und eine Haftpflichtpolice gegen Schadenersatzforderungen nach möglichen Beratungsfehlern. Zudem müssen sie umfangreiche Informations- und Beratungspflichten erfüllen und sich regelmäßig fortbilden – gerade für Vereine oder kleinere Unternehmen womöglich unzumutbar hohe Hürden. Immerhin: Das Urteil bezieht sich offenbar nur auf Unternehmen und Vereine, die ihren Mitarbeitern oder Mitgliedern einen freiwilligen Beitritt anbieten, für den diese dann auch die Prämie bezahlen. Ein Arbeitgeber, der seinen Angestellten eine Police quasi als Gehaltsextra anbietetund sie auch bezahlt, wäre demnach nicht betroffen. Das gilt auch für Vereine, bei denen Mitglieder verpflichtet sind, der Gruppenunfallpolice beizutreten. Soweit es um die kostenfreie Aufnahme der eigenen Mitarbeiter in einen Gruppenvertrag zur betrieblichen Unfall-, Kranken- oder Risikolebensversicherung geht, könnten also die Unternehmen durch das EuGH-Urteil weniger stark betroffen sein.

Die Aussichten.

Anders sieht das womöglich bei Geschäften mit Verbrauchern aus. Elektronikversicherung beim Handykauf, Glasbruchversicherung beim Optiker, Insassenschutz beim Autovermieter oder Reiseversicherung bei der Flugbuchung: Viele dieser Angebote sind als Gruppenversicherungen organisiert – da dürfte die BaFin demnächst bei den Versicherern nachhorchen, ob ihre Partner auch über eine Vermittlererlaubnis verfügen.


Weitere Artikel

Listing

18.11.2024 Recht | Ratgeber

Erfolg für Handelsvertreter

Nachdem ein Versicherer den Handelsvertrag mit einem Versicherungsvertreter gekündigt hatte, forderte das Unternehmen Zuschüsse in Höhe von rund 44.000 Euro zurück. Doch vor dem Landgericht Köln kassierte das Unternehmen eine Niederlage. Wie Exklusivvermittler von dem Urteil profitieren.

> weiterlesen
Listing

08.10.2024 Recht | Ratgeber

Poolmakler sind nicht rentenversicherungspflichtig!

Doppelter Erfolg für die Rechtsanwaltskanzlei Wirth: Sie erreichte, dass die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd die Rentenbescheide von zwei Maklern nachträglich revidiert hat. Damit wurde ein Fehlurteil des Bayerischen Landessozialgerichts, das die Branche jahrelang verunsichert hat, entschärft.

> weiterlesen
Listing

29.08.2023 Recht | Ratgeber

Versicherungsschutz trotz veralteter IT

Fehlende Sicherheitsupdates führen laut Landgericht Tübingen nicht automatisch zum Leistungsausschluss bei der Cyberversicherung. Die VP-Experten Schyma und Mallmann erklären, was dieses Urteil für die Versicherten bedeutet – und worauf insbesondere Neukunden achten sollten.

> weiterlesen