Urteil zur Erwerbsminderungsrente: Bestandsrentner gehen leer aus
Das Bundessozialgericht sieht in politischen Entscheidungen zur Erwerbsminderungsrente, von denen nicht alle Leistungsempfänger profitieren, keine Ungleichbehandlung. Die Klage zweier Rentner und der sie unterstützenden Sozialverbände ist damit gescheitert. Sie wollen nun das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Die Unterscheidung von Bestandsrentnern und Neurentnern bei der Berechnungsgrundlage der Erwerbsminderungsrente ist aus Sicht des Bundessozialgerichts grundsätzlich rechtens. Das haben die Kasseler Richter in einem viel beachteten Urteil vergangener Woche bestätigt (Az. B 5 R 29/21 R und B 5 R 31/21 R). Bei den Verfahren ging es um die Revisionen zweier Kläger, die sich bei der Berechnung ihrer Erwerbsminderungsrenten benachteiligt sahen und vom Sozialverband VdK Deutschland und dem Sozialverband Deutschland (SoVD) unterstützt wurden.
Sozialverbände kündigen Gang nach Karlsruhe an
Die Entscheidung betrifft laut Sozialverband VdK rund 1,8 Millionen Rentner, deren Erwerbsminderungsrente vor dem 1. Januar 2018 beziehungsweise vor dem 1. Januar 2019 begann. Betroffene hatten sich Hoffnung auf eine Neuberechnung und damit eine rückwirkende Erhöhung ihrer Rente gemacht. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte zu dem Urteil: „Das Bundessozialgericht hat unserer Revision nicht entsprochen. Für alle Erwerbsminderungsrentner, die wegen einer Erkrankung oder Behinderung nicht mehr arbeiten können, ist das eine bittere Entscheidung. Allerdings ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun klären, ob die derzeitige Gesetzgebung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt. Der SoVD und wir als VdK gehen deswegen nun nach Karlsruhe.“
Streitpunkt: Berücksichtigung verlängerter Zurechnungszeiten
Hintergrund: Die in den beiden Revisionsverfahren klagenden Rentner erhalten aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen, die einer weiteren Erwerbstätigkeit entgegenstehen, bereits seit 2004 beziehungsweise 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie gehören damit zur Gruppe der Bestandsrentner. Nach den in den Jahren 2018 und 2019 in Kraft getretenen gesetzlichen Regelungen kommen die - teilweise erheblichen - Verbesserungen bei der Berechnung der Erwerbsminderungsrenten aber nur den Neurentnern zugute. Die Kläger forderten eine Gleichbehandlung und deshalb eine Berücksichtigung der verlängerten Zurechnungszeiten auch bei ihren Renten. Der Rentenversicherungsträger und die Vorinstanzen lehnten das ab. Das Bundessozialgericht hat diese Entscheidungen mit dem nun gefällten Urteil bestätigt.
Leistungsverbesserungen gelten grundsätzlich nur für neu bewilligte Renten
Zur Urteilsbegründung schreibt das Bundessozialgericht: „Der 5. Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Begrenzung der zum 1. Januar 2018 und 1. Januar 2019 eingeführten Leistungsverbesserungen auf die ab diesen Stichtagen neu hinzukommenden Erwerbsminderungsrentner dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes widerspricht.“ Bei Anwendung des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Prüfungsmaßstabs für solche Stichtagsregelungen sei ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz nicht feststellbar gewesen. Die vom Gesetzgeber angeführten Gründe für die Differenzierung zwischen Bestands- und Neurentnern seien sachlich nachvollziehbar und nicht willkürlich. Es entspreche einem Strukturprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, dass Leistungsverbesserungen ebenso wie Leistungskürzungen grundsätzlich nur für neu bewilligte Renten gelten.
Nachbesserung des Gesetzgebers im Urteil berücksichtigt
Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Gesetzgeber mittlerweile für die Bestandsrentner einen Zuschlag zu ihrer Erwerbsminderungsrente und ebenso zu einer daran anschließenden Altersrente eingeführt hat, der ihnen ab dem 1. Juli 2024 zustehen wird. Je nach Rentenbeginn liegen diese Zuschläge bei 4,5 bzw. 7,5 Prozent. „Der 5. Senat hat deshalb davon abgesehen, die Verfahren - wie von den Klägern gefordert - auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, ob die gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist.“